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»Es geht nicht darum, die bösen alten weißen Männer anzukreiden«

»Intersection – Alles ist politisch«

Wie eine Kreuzung (eng. Intersection) an der sich mehrere Straßen überschneiden, beschreibt Intersektionalität das Zusammenwirken mehrerer Unterdrückungsmechanismen. Das Spiel »Intersection«, eine App fürs Smartphone, soll diese strukturelle Diskriminierung erfahrbar machen. Im gleichnamigen Dokumentarfilm sitzen sechs Personen zusammen und diskutieren, wie sich dieses Spiel auf die Realität übertragen lässt. Konzipiert wurden Film und Spiel von Karoline Rößler, die auch Regie geführt hat. Wir haben sie kurz vor der Weltpremiere von »Intersection – Alles ist politisch« getroffen.

Was bedeutet für dich Intersektionalität?

Das ist eine sehr große Frage, finde ich. Für mich bedeutet es das Zusammenwirken von unterschiedlichen Diskriminierungsformen. Rassismus, Sexismus und Klassismus lassen sich nicht getrennt voneinander betrachten, sondern wirken gegenseitig aufeinander ein. Menschen, die von mehreren Diskriminierungsformen betroffen sind, sind anders davon betroffen als Menschen, die z.B. nur von einer oder von gar keiner Diskriminierung betroffen sind.

Und was bedeutet es für dich einen Film über Intersektionalität zu machen?

Das ist natürlich erstmal eine riesige Herausforderung, sich so einem großen und auch sehr abstrakten Thema zu nähern. Daher kam auch die Idee, daraus ein Spiel zu machen. Dadurch lässt sich das Thema auf einer anderen Ebene behandeln und es führt dazu, dass man auch mal miteinander lachen darf, oder dass es nicht immer direkt so persönlich wird. Es geht nicht sofort darum: Wer bist du und wer bin ich?

Welche Protagonist*innen habt ihr ausgewählt und wie habt ihr sie zusammengestellt?

Unsere Protagonist*innen sind Hatice Akyün, Ole Liebl, Maria Popov, Matilda Jelitto, Dominik Djialeu und Phenix Kühnert. Das sind alles Menschen, die in einer progressiven Bubble unterwegs sind und sich schon vor diesem Projekt öffentlich über eigene Diskriminierungserfahrungen und ihren Umgang damit geäußert haben oder die sich feministisch positionieren. Die Idee war, Leute zu finden, die schon eine Meinung dazu haben oder die sich mit diesen Themen schon auseinandersetzen, um ihnen auch die Möglichkeit zu geben, selber zu entscheiden, wie viel sie von sich selber teilen wollen.

Warum habt ihr politisch eher gleichgesinnte Menschen ausgewählt?

Das war gar nicht die Idee von Anfang an. Ursprünglich war die Idee mal, dass wir auf der einen Seite eher progressive Menschen haben und auf der anderen Seite eher konservative. Es gab dann zwei Gründe, warum das nicht geklappt hat. Erstens, weil Konservative das nicht wollten. Also, ich habe sehr, sehr, sehr viele Leute angefragt und es gab wenige, die Interesse hatten und noch weniger, die dann gesagt haben, wir machen das in so einem studentischen Abschlussprojekt, das schlecht bis gar nicht bezahlt werden kann. Ich habe auch von einer Person gehört, dass dieses Thema keine Relevanz mehr hat; dem bin ich sogar sehr häufig begegnet. Und dann hatte ich ein Gespräch mit einer anderen Person, aus der eher progressiven Bubble, die mich dann gefragt hat: »Hey, was verlangst du hier eigentlich von mir? Warum soll ich mich jetzt noch mal hinsetzen und Leuten, die das im Zweifelsfall überhaupt nicht hören wollen, die sich eigentlich damit gar nicht auseinandersetzen wollen, erzählen, wie ich Diskriminierung erfahre, wenn das sowieso am Ende nichts bringt?«

Linksfeministischen Diskursen wird häufig vorgeworfen, dass sie mit einem erhobenen Zeigefinger argumentieren. Wie würdest du deinen Film da einordnen?

Das ist überhaupt nicht die Intention und ich hoffe, er tut das nicht. Ich glaube, das ist auch das, was das Spiel leisten kann: Es geht eben nicht darum, die bösen alten weißen Männer anzukreiden, sondern zu versuchen, das auf eine strukturelle Ebene zu heben. Wir sind in diesem System, das nicht fair ist. Und daran hat individuell niemand Schuld! Es geht auch nicht um Schuldzuweisung, sondern darum, dass wir uns alle gemeinsam darüber bewusstwerden und vielleicht auch gemeinsam Lust haben, was daran zu verändern.

Im Film sagt Hatice Akyün: »Es braucht keine Aufklärung, es fehlt einfach an Empathie«. Welchen Beitrag für mehr Empathie leistet »Intersection«?

Ich hoffe, dass »Intersection« einen Perspektivwechsel möglich macht. Dass man mal ein bisschen in den Schuhen der anderen gehen kann und dadurch einerseits unseren Protagonist*innen und andererseits Menschen im Alltag mehr zugehört wird. Dass einer Person geglaubt wird, wenn sie sagt, ich werde ungerecht behandelt oder ich leide unter dieser Struktur. Dass man einfach erstmal davon ausgeht, dass das auch die Wahrheit ist. ELSKE BECKMANN

»Intersection – Alles ist politisch«

R: Karoline Rösler

Deutschland 2025, 87 Min.

31.10. 17:00 Uhr CineStar 4

01.11. 21:00 Uhr Cinématèque

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