»Lichter der Straße« betrachtet Nichtsesshaftigkeit jenseits der Romantisierung
Fahrende Leute nannte man sie oder fahrendes Volk: Gaukler, Schauspieler, Sinti und Roma, Juden. Die Nichtsesshaften waren von Ausgrenzung betroffen, »holt die Wäsche rein!«, hieß es. Und sie waren über Jahrhunderte von gesellschaftlicher Teilhabe teilweise ausgeschlossen, dabei erfüllten sie wichtige Funktionen. Sie waren Händler und Unterhaltungsunternehmer, brachten neue Kunde und Zerstreuung. Wie sich auch heute ein nichtsesshaftes Leben realisieren lässt und was das bedeutet, zeigt »Lichter der Straße«. Hierfür hat die Leipziger Filmemacherin Anna Friedrich genau hingesehen und mehrere Protagonisten länger begleitet. Nichtsesshaft meint hier nicht Wohnungslose, sondern Menschen die freiwillig ein mobiles Leben ohne festen Wohnsitz gewählt haben; wobei hier auch fließende Grenzen bestehen können. Aber das bleibt im Film außen vor.
Da ist eine linke Aktivistin, die in einem umgebauten Lkw unterwegs ist und vor allem Wagenplätze ansteuert. Gut vernetzt, hilft sie mal hier, mal dort beim Bauen und mit ihr besucht Friedrichs auch einen Vagabunden-Kongress. Hier hätte man sich gewünscht zu erfahren, wovon die Aktivistin lebt. Immerhin sollen die Beispiele ja Alternativen zu den eigenen vier Wänden aufzeigen. Bei vielerlei Arbeiten und Tätigkeiten ist eine Wandergesellin zu sehen. Sie schätzt ihre Unabhängigkeit unterwegs, ist beim rückkehrenden Einzug in ihre alte Heimat und blickt schlussendlich wehmütig auf ihre Zeit auf der Walz zurück. Sie ist Gärtnerin, hat also einen Beruf gelernt, der wie wenige andere an eine Scholle gebunden ist.
Als dritten Protagonisten-Strang kommen mehrere Menschen zu Wort, deren Beruf man gemeinhin Schaustellerei nennt. Sie ziehen über die Jahrmärkte, wie das in ihrer Familie schon lange Tradition ist. Sie gehören der Gruppe der Jenischen an, eine fahrende Minderheit, von der heute nur noch wenige unterwegs sind. Es gibt seit einigen Jahren einen Rat der Jenischen, der sich um Verbesserung ihrer Situation kümmert.
Neben diese drei Hauptlinien flechtet die Regisseurin Friedrich kleine Interview-Sequenzen ein, etwa mit kommunalen Entscheidern oder Mitarbeitern, die das Grün von Landstraßen pflegen. Das bereichert die Perspektive auf das Thema. Ihre eigenen fragenden Reflexionen ins Dunkel einer Straße gesprochen, bedurfte es da weniger. Die sollen Tiefe andeuten, sind aber störend, wenn man sich aufs Wesentliche, nämlich das Dokumentarische konzentrieren will. Und aus diesem ist im Film einiges Interessantes über das nichtsesshafte Leben zu lernen. TOBIAS PRÜWER
»Lichter der Straße«
R: Anna Friedrich
Deutscher Wettbewerb Dokumentarfilm
Deutschland 2024, 86 Min.
29.10., 18 Uhr, Cinestar 2
31.10., 19.30 Uhr, Hauptbahnhof Osthalle
1.11., 11 Uhr, CineStar 4
3.11., 21 Uhr, CineStar 5