
»Gut Ding will Weile haben« fragt, wie man sich angemessen an 89 erinnern kann
»Die haben die Nikolaikirche auseinander- und dann wieder zusammengebaut. Dabei blieb eine Säule übrig.« Das oder Ähnliches wird manchem Betrachter durch den Kopf geschossen sein, als er vor der Säule auf dem Nikolaikirchhof stand. Bei solchen Übungen bleiben ja immer ein paar Schrauben und so übrig. Die klassizistische weiße Säule mit Palmwedeln wirkt hier jedenfalls deplatziert. Damit verfügt sie über ein wichtiges Merkmal eines Erinnerungsstücks: Es soll aufmerksam machen. Allerdings deutet nur das im Boden eingravierte »1989« auf die Friedliche Revolution hin. Denn man muss schon wissen, dass das Objekt im öffentlichen Raum eine Replik der Säulen in der Nikolaikirche ist, wo die Menschen damals zum Friedensgebet zusammenkamen. Ganz schön viel Vorwissen für ein Erinnerungsmal, das en passant funktionieren soll. Und damit ist die Säule nicht allein.
In »Gut Ding will Weile haben« klappert Jens Franke die mit 1989 erinnerungspolitisch verbundenen Wegmarken in Leipzig ab. Wer weiß etwa, dass zur Säule noch der Brunnen auf dem Nikolaikirchhof gehört, der »Es läuft über« symbolisieren soll? Auch die nicht mehr funktionstüchtige, in den Boden um die Nikolaikirche herum eingelassene Lichtinstallation mit den bunten Glasbausteinen gehört zum Erinnerungsensemble. Aber diese Funktion drängt sich nicht auf, wie auch im Film zu sehen ist, wenn die Menschen meist achtlos daran vorbeigehen. Auch das goldene Ei, ähm: die Demokratieglocke auf dem Augustusplatz ist so eher ein skurriles Selfie-Objekt, denn Mahner.
Zwischen solche Szenen blendet der Filmemacher O-Töne aus Interviews mit lokalen (ehemaligen) Kulturverantwortlichen wie Falk Elstermann oder Susanne Kucharski-Huniat. Sie erklären ehemalige Entscheidungen beziehungsweise, dass es eben nicht so einfach ist, an einen revolutionären Moment zu erinnern. Der ist ja flüchtig – wie die Erinnerung daran, was möglich sein konnte. Das wird auch im aktuellen Wettbewerb für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal und dessen Sieger deutlich; wie man in der Titelgeschichte des November-kreuzer nachlesen kann.
Damit ist der Film eine kleine Reflexion auf das Erinnern und auch auf das Verhältnis der Zeitzeugen dazu. Braucht es überhaupt ein Mahnmal, wenn die noch leben, die es erlebt haben? Auch das klingt kurz an in einem gesitteten Streit im Film: Wer die Autorität und Deutungshoheit über das Erinnern hat. Und ob ein von oben verordnetes – auch wenn Verfahren den Eindruck schmälern sollen – Monument, immer als solches wahrgenommen wird und 89 ganz und gar nicht entspricht.
»Gut Ding will Weile haben«
R: Jens Franke
Deutscher Wettbewerb Dokumentarfilm
Deutschland 2024, 25 Min.
29.10., 11 Uhr, CineStar 6
1.11., 12 Uhr, Passage Kinos Wintergarten
1.11., 14.30 Uhr, Passage Kinos Astoria
3.11., 20.30 Uhr, Kinobar Prager Frühling