Filmrezensionen

Mit Ersatzeltern gegen die Dämonen

»Im Prinzip Familie« von Daniel Abma

Wie jeder Mensch hat auch Kelvin viele Gesichter: Mal knuddlig beim Ausblasen eines Straußeneis, mal aggressiv wie bei seiner Schimpfkaskade im Bus. Regisseur Daniel Abma zeigt in »Im Prinzip Familie« einfühlsam die Gefühlsachterbahnen in einer Betreuungseinrichtung für Kinder.

Die Eskalation zwischen den Kindern ist hörbar, im Bild sieht man aber nur die Geländer des Treppenhauses, die in dieser Einstellung ein bisschen an Gitter erinnern. Immer wieder schafft es Regisseur Daniel Abma die Emotionswallungen der beteiligten Personen und die Stimmung vor Ort zu fühlen zu lassen, ohne dass man die Szene sehen muss. Denn natürlich ist das Thema an sich schon sensibel, die Protagonisten besonders schutzbedürftig.

In der Einrichtung leben Betreuer und Kinder, die nicht bei ihren Eltern sein können, im ländlichen Idyll. Die Kamera folgt den beiden Kindern Kelvin und Niklas bei ihrem Ringen um Liebe, aber auch dem Betreuerteam im alltäglichen Kampf mit Traumata, Enttäuschungen, Behörden und Eltern, die natürlich teils selbst enorme Last auf ihren Schultern tragen. Bedrückende Telefongespräche mit Müttern, die Termine nicht einhalten oder monatelang nicht zu Besuch kommen, dazu Kinder, die ihr Weinen unter heruntergezogener Kapuze verstecken oder in der Psychatrie fixiert werden und das kiefermalmende Gesicht des Betreuers, das mehr über manche Entscheidung aussagt, als es Worte könnten.

Doch natürlich gibt es auch Lichtblicke – Filmemacher Abma gelingt ein ergreifendes Gesamtbild mit spannenden Einblicken, das die menschlichen Dramen authentisch erfasst, ohne dabei die Hoffnung zu verlieren.

Die über sechs Jahre Gesamtproduktionszeit waren vor allem der intensiven Recherche und Vorarbeit geschuldet, denn Abma hat selbst wochenlang in der Einrichtung mitgearbeitet, um Vertrauen zu schaffen. »Die Beziehungsarbeit spielt eine große Rolle im Film«, erklärt der gebürtige Niederländer. Schon im Rohschnitt durften die Beteiligten sich einbringen.

Durch die große Nähe zu den Protagonisten und ihren Problemen musste auch das Filmteam Wege der Verarbeitung finden. »Das sind alles intensive Szenen gewesen und bei uns war immer die Rückfahrt nach Hause sehr wichtig. Wir haben die ganze Rückfahrt darüber gesprochen – das war unsere Supervision«, sagt der Regisseur, dessen Dok-Film »Nach Wriezen« 2012 in Leipzig lief. Dieser Film über die Resozialisierung von Straftätern war auch einer der Ausgangspunkte für den aktuellen: Einige der Kinder der Ex-Häftlinge sind nun selbst in Jugend-Einrichtungen gelandet. Im Juni 2025 soll »Im Prinzip Familie« in die Kinos kommen. MARKUS GÄRTNER

»Im Prinzip Familie«

R: Daniel Abma

Deutschland 2024, 91 Min.

Deutscher Wettbewerb Dokumentarfilm

03.11. 17:00 CineStar 4

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