»Animalia Paradoxa« von Niles Attalah
Das Schöne beim Dok sind jedes Jahr wieder die vielen kreativen Kurzfilme, denen außerhalb des Festivals nur selten eine so große Plattform gegeben wird. Leider ist »Animalia Paradoxa« kein Kurzfilm. Über 82 Minuten sehen wir einem Wesen, das direkt einer Kanye West Fashion Show entsprungen sein könnte, inklusive Yeezys und Gasmaske, dabei zu, wie es sich in einem postapokalyptischen Häuserblock verrenkt. Isst das Wesen, schläft es, denkt es überhaupt? Unmöglich zu sagen, denn jeder Tag scheint gleich zu sein und das Verhalten zum Teil instinktgesteuert. Es träumt aber, von der tiefen klaren See, denn die einzige Stimme, die es hört, ist eine alte Tonbandaufnahme der kleinen Meerjungfrau von Hans Christian Andersen. Und es sammelt Müll ein, den es gegen süße Würmer tauscht, welche es gegen Wasser aus den sehr langen, sehr schwarzen Haaren einer sehr mysteriösen Person tauscht, die sehr mysteriös irgendwo in diesem Häuserblock von der Decke hängt. Mit dem Wasser füllt es eine Wanne, in der es sich hin und wieder räkelt. Bis eines Tages die postapokalyptische Inquisition kommt und die Offenbarung des Johannes verkündet. Falls es noch nicht klar geworden ist: Alles ist sehr postapokalyptisch und sehr mysteriös. Das machen auch die Untertitel unmissverständlich klar. Natürlich ist es sehr löblich, dass das Dok erweiterte Untertitel für gehörlose Menschen einsetzt, aber wenn jede klangliche Untermalung dort als »unheimlich« oder »bedrohlich« beschrieben wird, wirkt das doch etwas albern. Das wäre auch alles nicht so schlimm, wenn der Film uns 20 Minuten lang in eine unerklärliche Welt mitnähme, in die man kurz eintaucht, wieder auftaucht und sich wundert, was das jetzt zu bedeuten hatte. Aber nichts an »Animalia Paradoxa« rechtfertigt die Spielfilmlänge.
Wenn ein Film nach 15 Minuten schon klar macht, dass er so wenig Substanz hat wie »Mad Max – Fury Road«, dann sollte er auch genauso gut aussehen. Und wieder muss man der Fairness halber sagen, dass es natürlich auch löblich vom Dok ist, ambitionierte Filme ins Programm aufzunehmen, deren Budget in Mad Max wahrscheinlich nicht mal für die Maske von Tom Hardy ausgereicht hätte. Trotzdem sind es bewusste Entscheidungen für Stilelemente, die einfach nicht aufgehen. Warum trägt das Wesen einige der hässlichsten Sneaker, die je designt und gleichzeitig unfassbar teuer sind? Warum sieht die Kulisse aus, als wären die Häuser einfach nie fertig gebaut worden, statt dass sie zerstört wurden? Und warum wirkt alles so unfunktional? Wenn der Stil wichtiger ist als Handlungslogik und der Stil dann schlecht ist, bleibt nicht mehr viel Sehenswertes übrig.
So entsteht auch keine Form von Mitgefühl für das Wesen, als es nach dem erwartbaren Wendepunkt das mysteriöse Orakel mit dem postapokalyptisch verformten Körper besucht und anschließend seine Reise zum großen Wasser antritt. Man erfährt dann wenigstens, warum der Film beim Dok in der Sparte Animation läuft, aber mehr auch nicht. Dafür erreicht der überbordende Symbolismus seinen Höhepunkt. Der Animationsstil macht das ganze dann zwar wieder interessant, kann aber nicht für die vorherigen 70 Minuten Laufzeit entschädigen. »Animalia Paradoxa« bietet inhaltlich keine neuen Ideen und kann auch die Formel »Besser gut geklaut als schlecht selbst gemacht« nicht erfüllen. Das Einzige, was durch den Film klar wird, ist, dass Existenz Schmerz bedeutet und es im Wasser ein bisschen besser auszuhalten ist. Aber für die letzte Erkenntnis reicht auch das Video aus der Muppet Show zu Octopus‘ Garden. Dauert auch nur zweieinhalb Minuten. ALEXANDER BÖHLE
»Animalia Paradoxa«
R: Niles Attalah
Chile 2024, 82 Minuten
03.11. 17:00 Uhr Schauburg
ABSOLUT PASSENDE Kritik! Habe es zwar vorher gelesen, jetzt ärgere ich mich irre über die Lebenszeit, die in den Fluten dieses völlig fehlgeleiteten, narrativ verlorenen Machwerks verschwunden ist