Filmrezensionen

Das androgyne Herrenjacket

»wo/men« stellt sechs albanische Frauen vor, die als Männer leben

Performing Gender heißt: ein Geschlecht auf die Bühne bringen. Wer breitbeinig rumsitzt, bequeme Hosen und kurze Haare trägt, stets eine Zigarette im Mundwinkel hängen hat und mit ausgreifenden Schritten durch die Welt läuft, als gehöre sie einem, ist ein Mann. Oder eine Burrnesha. In »wo/men« sagt eine Beteiligte, dass dieser Begriff eher jüngeren Datums ist, man vorher einfach von dem Mädchen sprach, das zu Hause bleibt. Im Gegensatz zu den Mädchen in den entlegenen Regionen Albaniens, die heirateten und bei ihrer Schwiegerfamilie einzogen. Das war damals, als Mädchen als Jugendliche verheiratet wurden, an Männer, die die Familie nach ihren Kriterien auswählte.

»wo/men« erzählt von einer Tradition, die vielleicht ihrem Ende entgegen geht, weil die Welt sich verändert hat und mit ihr Ehrvorstellungen ebenso wie Gesetze; die geschriebenen und die ungeschriebenen. Die Burrneshas, die im Film zu Wort kommen, sind alle nicht mehr jung. Aber jung waren sie, als entschieden wurde – oder sie selbst entschieden –, fortan keine Mädchen oder Frauen zu sein. Weil die Familie einen Sohn brauchte, zum Beispiel, weil sie selbst lieber bei ihrer Familie bleiben wollten oder weil sie es aus anderen, eher nebulös bleibenden Gründen richtig fanden. Mit den männlichen Privilegien geht ein Eid einher, eine Verpflichtung nämlich zum Zölibat.

Das zeigt »wo/men« in ruhigen, wirkungsvollen Bildern, die den Burrneshas, ihren Geschichten und ihrem Lebensumfeld viel Raum geben, inklusive Besuchen beim Friseur oder beim Herrenausstatter. Wo die Tradition herstammt und in welchen Teilen des Balkans sie bekannt ist oder war, wird nicht erklärt; so wie überhaupt wohltuend wenig erklärt und noch weniger bewertet wird. Ob das Konzept Burrnesha ein guter Deal ist – für die einzelne Person und im gesamtgesellschaftlichen Blickwinkel –, wäre so eine Frage, die sich debattieren ließe. Die Antwort müssen die Zuschauerinnen und Zuschauer selbst finden. FRANZISKA REIF

»wo/men«

R: Kristine Nrecaj, Birthe Templin

Deutschland 2024, 86 Minuten

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