Allgemein Filmrezensionen

Erinnerte Landschaft

»Karpotrotter« von Matjaž Ivanišin

Anfang der Siebziger reist Karpo Godina durch die Wojwodina in der Pannonischen Tiefebene, heute eine autonome Provinz in Serbien, die auch in Jugoslawien schon autonom war – und in der über die Jahrhunderte stets viele Nationen, Ethnien und Sprachen zusammenlebten. Der damals 28-jährige Godina gehörte zum auch Schwarze Welle genannten Novi film in den Sechzigern und Siebzigern, wobei Regisseure heroische Darstellungen vom sozialistischen Leben zugunsten anderer Themen und Genres fallen ließen und einen (herrschafts-)kritischen Blick vorzogen.

Für seinen Film »Imam jednu kuću« (»Ich habe ein Haus«) filmte Godina im ländlichen Raum der Wojwodina die Dörfer und ihre Bewohnerinnen und Bewohner. Dieser Film ist nur noch fragmentarisch erhalten. Matjaž Ivanišin machte sich vierzig Jahre später mit der Super-8-Kamera auf Godinas Spuren. Die Reise beginnt mit Fotos von Dreharbeiten zu »Rani radovi« (1969), einem Spielfilm von Želimir Žilnik. Eine dunkle, märchenonkelhafte Erzählerstimme berichtet mit präzisen Worten und in faszinierender Poesie von der leeren, flachen Landschaft und den Dörfern, erzählt von den gezeigten Leuten – und auch den Hunden. »Karpotrotter« stellt die Aufnahmen aus den frühen 2010ern in fünf Kapiteln – fünf Dörfern – gekonnt neben Einblendungen aus Godinas Film, es erklingt Musik aus »Imam jednu kuću« und »Rani radovi«. Da standen die Menschen in Trachten und sangen auf Rumänisch, Romani oder Russinisch.

Die heutigen Gespräche blicken ebenfalls zurück, auf eigentümliche Weise tun die Bilder es ihnen gleich. So lässt sich »Karpotrotter« sicher als Hommage an Godina verstehen. Und es ist auch eine Hommage an die Menschen von früher wie heute. An Ficko mit seinem lauten Bariton und dem Akkordeon zum Beispiel, den alte Herren vierzig Jahre später als Veterinär, Boxer und Frauenheld beschreiben. Oder an die junge Lenke, die in trüb-kaltem Nebelwetter und in Tracht ein ungarisches Lied zum Besten gab. Oder an die weibliche Linie von Marjuca. Oder an Jaganja, den Spieler, der allen, die er traf, zwei Eier schenkte, nachdem seine Frau endlich einen Sohn geboren hatte. Ein großartiger Film. FARNZISKA REIF

»Karpotrotter«

R: Matjaž Ivanišin

Fokus: Slowenische Dokumentarfilme nach 1991

Slowenien 2013

Slowenisch, UT Englisch

48 Minuten

12. Oktober, 15 Uhr, CineStar 5 (zusammen mit »Playing Men«)

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