Allgemein Filmrezensionen

Die fassungslose Aufarbeitung einer Tragödie

»Die Kinder aus Korntal« von Julia Charakter

Die bedrückenden 90 Minuten sind eine Tatortbegehung, zurück in die Zeit zwischen den 50er und 80er Jahren im Korntaler Kinderheim. Die damalige Außenwirkung des von der evangelischen Brüdergemeinde geleiteten Heimes: positiv, eine eigene Schule, über 100 Pferde. Innerhalb des Heimes bedeutete der Alltag für die Kinder aber systematischer Machtmissbrauch. Kindergruppen wurden teilweise sektenartig geleitet, Angst und Prügel inmitten religiöser Zucht standen an der Tagesordnung. Arbeitszwang auf privaten Baustellen der Heimleiter und jahrelange sexualisierte Misshandlungen durch Gruppenleiterinnen, den Hausmeister oder den Kinderarzt: Es sei normal gewesen, dass Kinder im Unterricht mal kurz raus genommen worden, berichtet ein Betroffener. Immer wieder sollen Kinder auch in »Gastfamilien« gegeben worden sein, wo die sexuellen Übergriffe an den Kindern außerhalb des Heimes fortgeführt worden sind.

In »Die Kinder aus Korntal« kommen Betroffene zu Wort, schildern die grausamen Übergriffe während ihrer Kindheit. Protagonist Dirk Zander entschloss sich im Jahr 2013 dazu, mit den Erinnerungen an die Zeit im Korntaler Kinderheim an die Öffentlichkeit zu gehen. Bis heute haben sich über 150 Betroffene gemeldet, über 80 TäterInnen konnten identifiziert werden.

Mit dem Stand der Aufarbeitung haben die Betroffenen, die an die Öffentlichkeit gegangen sind, noch keine Ruhe gefunden. Deren Frust und Schmerz, klägliche 5.000 Euro Schmerzensgeld, stellt Julia Charakter den Äußerungen der Verantwortlichen gegenüber – die fassungslos machen, oder zu »Ich kotze gleich!«-Rufen im Kinosaal führen. CHARIS MÜNDLEIN

»Die Kinder aus Korntal«: DE 2023 | 90 min | Deutsch, UT Englisch |R: Julia Charakter | Deutscher Wettbewerb Dokumentarfilm, Weltpremiere

12.10., 20.30 Uhr, Regina Palast 1

15.10., 18 Uhr, Cinémathèque

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