»Bei uns heißt sie Hanka« von Grit Lemke
»Pass mal auf, die Sorben gibt es nicht. Wie es die Deutschen nicht gibt. Es gibt immer sone und sone.« Schriftsteller Juri Koch hat eine klare Haltung, wenn es um identitäre Kollektivierungen geht. Er fällt Filmemacherin Grit Lemke ins Wort, als die sich wundert, dass es auch unter Sorben NS-Anhänger gab. Die waren doch unterdrückt, ihre Kultur und Sprache verboten gewesen. Kochs Diktum ist nicht nur Warnung, sondern kann auch als Überschrift für den Film dienen. Denn »Bei uns heißt sie Hanka« ist eine Spurensuche nach Sorbischsein, sorbischer Her- und Zukunft. Sie formt aber kein einheitliches Bild, setzt kein großes Ganzes zusammen, sondern findet individuelle Zugänge.
Die Regisseurin ist selbst in der Oberlausitz aufgewachsen, hat aber von ihrer sorbischen Abstammung lange nichts gewusst. Wie viele Menschen, die sie im Film aufsucht. Sorben bilden die kleinste aller slawischen Ethnien. Sie leben vor allem in der Ober- und Niederlausitz – in letzterer werden sie auch Wenden genannt. Sie besitzen anerkannten Minderheitenstatus in Deutschland. Gerade daran reiben sich einige Protagonisten, denn sie sind ja Sorben, keine deutsche Minderheit. Solches Selbstbewusstsein ist neuerer Natur.
Denn lange Zeit wurden Sorben unterdrückt, wenn ihre Sprache nicht ganz verboten war. Und sie nahmen auch selbst Abstand von ihrer Kultur, etwa wenn sie aus den Dörfern in die Städte siedelten. Sie solle nicht herumlaufen wie eine »wendische Hanka«, erinnert sich Lemke an die Ermahnungen aus ihrer Kindheit, sich nicht liederlich zu kleiden. Wie aus einer Anna eine Hanka wird, streift der Film bei Trachten-, Hochzeits- und Tanzszenen. Sorbisch kannten wie sie viele nur aus dem Museum, wie jenem im Lehde/Spreewald, wo sorbisch gleich gesetzt wurde mit bäuerlich/ländlich; ergo: rückständig. Sorben waren immer die anderen, entweder der zurückgebliebene Dorftrottel, der man nicht sein wollte. Oder das Ausstellungsstück von gestern, höchstenfalls noch eine Trachtenpuppe für Touristen.
Dass Sorbischsein mit einem Selbst zu tun hat, entdeckten einige im Film gezeigte jüngere Menschen erst für sich selbst. Und entwerfen es jeweils passend für sich. So tritt ein Cottbusser Fanclub auf, der The Fighting Wendish heißt – angelehnt an den Club The Fighting Irish, nur hier mit boxendem Wassermann im Logo. Rap trifft auf traditionelle Musik, Selbstbewusstsein, vielleicht wieder über eigene Gebiete zu verfügen, auf Bilder verdruckster Vergangenheit. Kurzum: hier scheint gelebte Kultur auf, die aber immer auch in Gefahr vorm Deutschtum schwebt, wie Bilder von Demos à la Freie Sachsen andeuten.
Lemke kombiniert geschickt ihre Szenen, so dass Verlust – die naturzerstörenden Tagebaueinöden gehören zur Lausitz heute dazu – und Aufschwung immer nebeneinander stehen. Melancholie mischt sich mit euphorischen, ausgelassenen Szenen. Nur selten kommentiert oder fragt Lemke, meistens sprechen Fotografiertes und Fotografierte für sich. Die Regisseurin vermeidet allen Exotismus, niemand wird hier ausgestellt, wenn in diesem mehrstimmigen Porträt zu erfahren ist, wie sich Menschen ihr Sorbischsein aus dem Museum zurückholen und neu entwerfen. TOBIAS PRÜWER
»Bei uns heißt sie Hanka / Pla nas gronje jej Hanka / Pola nas rěka wona Hanka«
R: Grit Lemke
Deutscher Wettbewerb
Deutschland
2023
92 Minuten
10.10., 14:00 CineStar 4
11.10., 19:30 Hauptbahnhof Osthalle
14.10., 18:00 Passage Kinos Wintergarten