Allgemein Interviews

Das vergessene Volk

Grit Lemke über »Bei uns heißt sie Hanka«

Die Sorben, die man im Brandeburgischen auch Wenden nennt, sind das kleinste slawische Volk. In der Lausitz, entlang der polnischen Grenze, bildeten sie bis ins 20. Jahrhundert einen großen Teil der Bevölkerung. Heute sind sie eine Minderheit, lange unterdrückt und ausgegrenzt. Die Filmemacherin Grit Lemke ist in der Lausitz aufgewachsen. Wenn einer der Erwachsenen früher sagte: »Loof nich rum wie ’ne Wendsche Hanka!«, dann wusste sie nicht, was eine »Wendsche Hanka« sein sollte. Sie wusste nur eines: Auf keinen Fall wollte sie eine sein.

Heute, viele Jahre später, setzt sie sich mit dem fremden und doch so nahen Volk der Sorben auseinander, begleitete Jung und Alt mit der Kamera beim Wiederentdecken sorbischer Traditionen. Das Thema beschäftigt Lemke schon lange. Viele Jahre lang kuratierte sie eine sorbische Filmreihe beim Filmfestival Cottbus: »Dadurch kannte ich schon mal viele Leute, dann habe ich schon seit ein paar Jahren Sorbisch gelernt und zunehmend auch einen sorbischen Freundeskreis gehabt. Also, das bestimmt mein Leben sehr. Es vergeht eigentlich kein Tag, an dem ich nicht irgendwas Sorbisches lese, höre, spreche. Das hat mich einfach sehr beschäftigt.«

In ihrem Film begleitet die Regisseurin Sorbinnen und Sorben von heute auf der Suche nach der eigenen und der kollektiven Identität. Ihre Protagonistinnen und Protagonisten fand sie in ihrem Umfeld. »Das sind eigentlich alles Menschen, die ich aus meinem eigenen Leben, aus meiner Arbeit kenne. Also niemanden habe ich für den Film recherchiert und gesucht. Das ist ein Spektrum des Sorbischen, das ich wichtig fand für den Film. Aber das sind alles Menschen, mit denen ich in unterschiedlichen Zusammenhängen gearbeitet hab oder ihnen begegnet bin und mit den meisten bin ich tatsächlich auch befreundet.«

Lemke geht es darum, ihre Heimat zu verstehen und verständlich zu machen. Bereits mit »Gundermann Revier« und »Kinder von Hoy« blickte sie genau auf die Lausitz und ihre Geschichte. Doch da war noch eine Leerstelle, sagt Lemke. »Das habe ich gemerkt als ich mich da immer mehr hineinbegeben habe, dass das auch meine persönliche Geschichte ist, aber auch die der Lausitz und des Ostens als einer Region, die über Jahrhunderte eigentlich fremdbestimmt wurde. Also zumindest die Lausitz, was die Stigmatisierung der Sorben und der sorbischen Sprache betrifft. Was macht das mit jemandem, wenn man die eigene Sprache nicht mehr sprechen darf und wie wirkt sich das über Generationen aus und hat das vielleicht auch was damit zu tun, dass sich gerade unsere Region politisch dahin entwickelt hat, wo wir jetzt stehen? Das hat mich alles sehr beschäftigt. Der Film ist sozusagen das Beiprodukt zu meinem Leben und nicht andersrum.«

Mit einfühlsamem Blick sucht sie nach Antworten darauf, wie das Unrecht der Vergangenheit bis in die Gegenwart reicht. »Bei uns heißt sie Hanka« ist ein Film, der viel über die politische Entwicklung unserer Region zu erzählen weiß. Im Oktober feiert er seine Weltpremiere beim 66. Dok Leipzig. Im April kommt er bundesweit in die Kinos. LARS TUNÇAY

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