DOK Leipzig 2022

Keine Atempause

König hört auf - weltkinoverleih

Wer in Thüringen innerhalb der weiten linken Kreise sozialisiert wurde, der kennt ihn: Lothar König. Der mufflige, alte Jugendpfarrer aus Jena, mit seinem Lautsprecherwagen, den selbstgedrehten Kippen und dem Rauschebart. Lothar König war schon vor einer Dokumentation über die eigene Person eine Art linker Promi. Nach einer Gegendemonstration gegen den alljährlichen Naziaufmarsch im Februar 2011 in Dresden gab es einen spektakulären Prozess gegen König. Laut Anklage soll er über seinen Lautsprecherwagen, liebevoll „Lauti“ genannt, zum Landfriedensbruch aufgerufen haben. Woraufhin ihm die Staatsanwaltschaft gerne bis zu 13 Jahre im Gefängnis gegeben hätte. Ein Hohn, nachdem sich herausstellte, dass alle am Prozess beteiligten Polizisten „sich falsch erinnert“ hatten und die Anklage Videomaterial der betreffenden Situationen lange zurückhielt.

Der Film von Tilman König, Lothar Königs Sohn, zeigt wie schwer es war und ist, öffentlich in Ostdeutschland links aufzutreten. Im Thüringen der 90er Jahren war das nicht nur eine anstrengende, sondern teils sogar lebensgefährliche Aufgabe. Die Landtagsabgeordnete der Linkspartei Katharina König-Preuss, die Tochter Königs, die in dieser Dokumentation als kritischer Kontrapunkt zu Lothar Königs durchscheinenden Pfarrersermon daherkommt, weiß ein Lied davon zu singen. Buchstäblich, denn eine Schweizer Neonaziband hat ihr ein ganzes Lied gewidmet, in dem nicht nur sie misshandelt und ermordet wird, sondern auch ihr Vater. Der Dokumentarfilm zeigt die Spuren, die diese Drohungen und die direkte körperliche Gewalt seit der Wiedervereinigung in einem Menschen hinterlässt, der sich stets gegen großen Widerstand für das Richtige eingesetzte.

Mehr aus einer Mischung aus Pragmatismus und politischen Aktivismus, denn aus christlichem Sendungsbewusstsein ist Lothar in der DDR Pfarrer geworden. Aber er hat sich mit seiner Rolle abgefunden und sie sogar liebgewonnen. Die Junge Gemeinde-Stadtmitte ist über Jena und Thüringen hinaus ein Begriff für einen kämpferischen Antifaschismus gerade aus jener Stadt, aus der sich das NSU-Trio heraus entwickelte. Obwohl vieles vom Mikrokosmos dieser Jungen Gemeinde, mit ihren Konzerten, Werkstätten und Plena in der Dokumentation zu sehen ist, bleibt die Kamera doch steif an Lothar hängen. Tilman König arbeitet sich manchmal zu sehr an der Person seines Vaters ab. In Podiumsdiskussion, in Demonstrationen, im Getümmel ist stets nur Lothar König zu sehen. Kontrapunkte, abgesehen von kleineren, verbalen Scharmützeln oder Gesprächen, werden nicht weiterverfolgt. Das führt zwar dazu, dass wir den Pfarrer wütend herumschreien, lauthals lachend oder nachdenklich an seinem Tisch sitzen sehen. Was wir aber nicht sehen, oder zumindest nur ganz kurz, ist, wie Lothar König sich in seiner Umwelt einfindet. Wie sich die Strukturen um ihn entwickelt haben. Zweifellos wird sich Lothar über die dokumentarische Ehrung seines Schaffens gefreut haben, weil sie das Ende seiner Pfarrerstätigkeit rührend einfängt. Die Dokumentation hätte mit mehr Hintergründen, anderen Stimmen zu Lothar König aus der ihn umgebenden Struktur jedoch mehr über ihn selbst, aber auch die Leidenschaft politischer Arbeit erzählen können. Am Ende des Films kommt einem Lothar König nicht wie ein seliger Rentner vor. In treibt der eigene Aktivismus und auch die Angst zurückzubleiben, den Anschluss zu verlieren. Seinen Lauti haben wir sicher nicht zum letzten Mal gesehen.

Von Eyck-Marcus Wendt

König hört auf
R: Tilmann König

Titelfoto: Filmstill. Copyright: Weltkino-Filmverleih.

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