DOK Leipzig 2022

Auf den Spuren kolonialer Architektur

Filmstill:Schlachthäuser der Moderne - Filmgalerie 451

Der Regisseur und Künstler Heinz Emigholz ist seit Längerem für Experimentalfilme über Architektur und Raumentwicklung im Spätkapitalismus bekannt. Mit seiner neuesten Dokumentation „Schlachthäuser der Moderne“ verwebt er widersprüchliche und räumlich weitgetrennte Sphären virtuos zu einer dekolonialen Gesellschaftskritik. „Schlachthäuser der Moderne“ ist die Verzweigung zweier Architekturstudien aus der Reihe „Photographie und jenseits“, die Emigholz stetig vorantreibt.

Die erste visuelle Studie, mit der „Schlachthäuser der Moderne“ schließt, zeigt die Bauten des Architekten Freddy Mamani Silvestre in der zweitgrößten Stadt Boliviens, El Alto mit dem schlichten Titel „Mamani in El Alto“. Freddy Mamani hat mehr als 60 Gebäude in seinem sogenannten neoandinen Stil erbaut. Die Gebäude sehen aus wie Cartoon-Figuren der Transformer-Serie, jederzeit bereit sich in einen riesigen Roboter zu verwandeln, gefüllt mit grellen Farben, runden Formen und opulenten Kronleuchtern. Vor der Kulisse unverputzten Ziegelsteinen der Wohnhäuser El Altos heben diese „Tollhäuser“ (ZEIT) den scharfen Kontrast zwischen arm und reich, die Widersprüche zwischen europäischer und einer neuen indigener Architekturtradition hervor.

Der zweite Bestandteil von „Schlachthäuser der Moderne“, die Architekturstudie „Salamone, Pampa“ zeigt Bauten des argentinischen Architekten Francisco Salamone, der von 1936 bis 1940 futuristische Schlachthäuser, Friedhöfe und öffentliche Gebäude mitten in der buchstäblichen Pampa konzipierte. Teilweise vergleicht Emigholz seinen Stil mit der Architektur von Poststellen des italienischen Faschismus. Die Schächte der Schlachthäuser Salamones recken drohend ihre scharfen Messer oder Lanzen gen Himmel. Die administrativen Gebäude in den Provinzstädten haben weite Plätze mit dazu passenden, beinahe kubistisch anmutenden Straßenlaternen. Die Friedhöfe Salamones sind dagegen weltfremde, brutalistische Monumentalbauten, die jeder Demut vor dem Tod spotten.

An der Stelle architektonischer Hybris näht Heinz Emigholz seine beiden Filmstudien zusammen. Die körperlosen historischen Einordnungen und ästhetischen Interpretationen wechselnder Erzähler*innen aus dem Off materialisieren sich durch einen Taucher, der mitten in einer vom Hochwasser des Lago Epecuén versehrten Stadt erscheint. Der Lago Epecuén ist ein Salzwassersee und alles, was durch sein langsames Abebben wiederauftaucht, ist zerfressen und in altersloses Grau gefärbt. Der Taucher im bunten Hemd paraphrasiert die Kurzgeschichte „Ein Deutsches Requiem“ von Luis Borges, in dem die nationalsozialistische Ideologie bis an ihr widersprüchliches Ende gedacht wird: zur Erschaffung des Übermenschen muss das Niedere, und damit auch die im Zweiten Weltkrieg unterlegenen Nazis selbst, ausgelöscht werden.

Schnitt. Berlin, Humboldtforum. Emigholz inszeniert die Geschichte des Berliner Schlosses und seiner „mehr oder weniger guten Kopie“ im neu gebauten Humboldtforum. Das Humboldtforum stehe mit seiner Architektur im Zeichen des imperialistischen Kolonialismus des Deutsches Reiches und damit auch in Tradition seines genozidalen Rassismus. Die bloße Rekonstruktion und Wiederverwendung der Stätte des „Hohenzollernclans“ verharmlose und romantisiere den Antisemitismus, Rassismus und die Kriegstreiberei von Wilhelm II.

Mit den beiden Filmstudien seiner Reihe „Photographie und jenseits“ zeigt Emigholz die zwei unterschiedlichen Wege kolonial geprägter Architektur wie auch die Entwicklung postkolonialer Architektur in Südamerika. Das Humboldtforum steht formal wie inhaltlich in der Mitte als Ausgangspunkt dieser Bewegung. Emigholz, mit dem Beispiel Mamanis in El Alto, schlägt eine Entkolonisierung europäischer und außereuropäischer Architektur vor. Denn anstatt des barocken Humboldtforums mit seiner kolonialen Herrschaftsromantik soll im Herzen Berlins ein Tanzsaal im Stile Mamanis stehen, in grellbunten Farben und Formen, worin Chansonsänger Kiev Stingl singt: „all the modern africans hate my system“.

Die beiden Studien sind ohne Kommentar aus dem Off bildliche Zeugnisse des langsamen Zerfalls europäischer und kolonialer Architekturtraditionen, aber auch der Ausbreitung neuer Formen und Ideen dekolonialer Stile aus den Krisengebieten des Spätkapitalismus heraus. Die Verbindung dieser beiden Bewegungen in „Schlachthäuser der Moderne“ durch die Geschichte des Humboldtforums ist das Publikum nicht einfach nachzuvollziehen und doch präsentiert sie Emigholz in einer Konsequenz und Kompromisslosigkeit, die einen manchmal vor den Kopf stößt und eine grundsätzliche Debatte über das architektonische Erbe europäischer Kolonialgeschichte anregt. 

Von Eyck-Marcus Wendt

Schlachthäuser der Moderne
Salamone, Pampa
Mamani in El Alto
R: Heinz Emigholz

Titelfoto: Filmstill. Copyright: Filmgalerie 451

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