DOK Leipzig 2020 Filmrezensionen

Nur die Kamera war Zeuge

»Die Wächterin« (Martina Priessner, D 2020)

»Die Wächterin« erzählt von einer Nonne, die ihre kleine Kirche in der Türkei vor dem Zerfall bewahrt. Sehr zum Missfallen der muslimisch geprägten Nachbarschaft.

Dayrayto ist eine Nonne. Sie lebt in einer verwaisten Kirche, im Südosten der Türkei. Nur manchmal kommen andere Christen vorbei, um gemeinsam mit ihr zu beten. Die meiste Zeit über läutet sie die Glocken für sich allein. Die anderen Gemeindemitglieder sind längst tot oder geflohen. In der kargen, hügeligen Landschaft durch die regelmäßig der Wind pfeift, hält Dayrayto als letzte die Stellung. Sie nennt sich die Wächterin und hat sich geschworen bis zu ihrem Lebensende auf die Kirche aufzupassen.

Martina Priessner setzt sich in ihrer Arbeit wiederholt mit der Türkei auseinander. Für »Die Wächterin« begleitete sie Dayrayto für einige Wochen mit der Kamera. Dabei hält sie sich mit Kommentaren zurück. Hin und wieder hakt sie nach. Doch eigentlich bleibt sie unsichtbar und richtet den Fokus klar auf ihre Protagonistin. So sehen wir der Nonne bei ihrem Alltag zu. Immer wieder schläft sie irgendwo ein oder nimmt sich die Zeit für eine selbstgedrehte Zigarette. Dazwischen kümmert sie sich um ihre Tiere, schrubbt die Küche, verliert einen Schlüssel, repariert eine kaputte Türe. Meistens schwer atmend und hustend ob der Anstrengung. Doch gleichzeitig auch unheimlich willensstark. Hin und wieder laut fluchend.

Andere Menschen tauchen in dieser Dokumentation nur am Rand auf. Da ist der Tierarzt, der nach dem Hund sieht. Oder eine kleine Reisegruppe. Die vor denen Dayrayto sich fürchtet, sind allerdings nie zu sehen. Es sind die Männer und Frauen, die im Dorf leben. Sie wollen dass die Nonne von ihrem Hügel verschwindet. Einen ihrer Hunde haben die Dörfler vergiftet, erzählt Dayrayto. Außerdem habe der Dorfvorsteher sie bespuckt und geschlagen. An einer Stelle deutet Sie mit der Hand in Richtung der Häuser und sagt: »Dort drüben leben meine Feinde«. »Die Wächterin« ist das aufrüttelnde Porträt einer ungewöhnlichen Nonne. Es ist komisch, manchmal traurig und lebt ganz von dem Charisma seiner Protagonistin. Die macht noch die kleinste Geste und den kürzesten Satz zum Erlebnis.

JOSEF BRAUN

bis 11.11. abrufbar auf CultureBase.org

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