Allgemein DOK Leipzig 2020 Filmrezensionen

Kinderbilderkrieg

»Children« (Ushpiz, IL 2020)

Seit einigen Jahren hat sich in Israel und den palästinensischen Gebieten ein neues Medienformat entwickelt, das besonders Kinder zu Protagonisten der Intifada gegen den jüdischen Staat ernennt. Das sogenannte Pallywood inszeniert Angriffe von Kindern und Jugendlichen gegen israelische Soldaten und Grenzbeamte als Heldentaten und versucht so eine emotionalisierte Öffentlichkeit gegen Juden und den Staat Israel zu mobilisieren. Ahed Tamimi ist eines der ersten dieser Kinder gewesen, die über Handyvideos zu weltweiter Berühmtheit gelangte. Über soziale Medien, wie Snapchat und Instagram rücken neue, immer jüngere Intifada-Influencerinnen nach, wie beispielsweise Tamimis Cousin Janna Jihad. Diese mediale Strategie geht soweit, dass in Kauf genommen wird, wenn Kinder bei Angriffen auf israelische Soldaten, verletzt, festgenommen oder sogar getötet werden.

Der Film von Ada Ushpiz »Children« versucht diese Bewegung aus Perspektive der Kinder zu erforschen. Schon 2001 gewann die Regisseurin gemeinsam mit Anat Even die Goldene Taube auf dem DOK-Festival mit einem Film über die Lebensrealität von Frauen in der Westbank (»Asurot«, dt. »Eingeschlossen«). Damals interessierte sie das Überleben in festgefahrenen Zwischenräumen. Die Kinder und Jugendlichen, die sie für »Children« begleitet, befinden sich ebenfalls in einem Übergang, der nur schwer zu überwinden ist.

Um zu begreifen, in welcher Lage sie sich befinden, dringt Ada Ushpiz in »Children« tief in die Sozialisation der Kinder im Westjordanland ein. Was sie findet sind scheinheilige Widersprüche, die einer Darstellung kaum standhalten. Wir folgen etwa Dima, die nach einer Haftstrafe, weil sie einen israelischen Soldaten mit einem Messer attackierte, wieder freigelassen wird. Die palästinensische Öffentlichkeit möchte sie als Heldin feiern und ihr Gesicht benutzen, um der Welt zu zeigen wie grausam der jüdische Staat in Wirklichkeit ist. Doch die 12-jährige ist schlicht und ergreifend traumatisiert. Sie wollte nie jemanden verletzen, gar töten. Ihr Gesicht ist starr vor Angst, während Reporter auf sie einreden, sie fotografieren und ihre Mutter sie drängt zu antworten. Wir sehen eine Radikalisierung aus Alternativlosigkeit. Wie viele andere Kinder kann auch Dima ihrem Umfeld nicht entkommen, auch wenn sie offensichtlich Zweifel hegt.

In einer Grundschule, die unter israelischer Aufsicht steht, lernen die Kinder einerseits, dass der Islam alle Religionen toleriert. Andererseits werden sie damit konfrontiert, dass Zionisten, sprich Juden, ihnen ihr Heimatland genommen haben. Jeder Versuch, vor der Kamera moderate Töne anklingen zu lassen, wird durch die Bilder Lügen gestraft. Israelische Soldaten werden mit Sylvesterraketen nervös gemacht, angepöbelt, überall hängen Überwachungskameras. Jeder geht mit gezücktem Handy durch die engen Gassen – nur einmal müssen die Soldaten ihre Nerven verlieren, dann hat die Intifada wieder ausreichend Bilder. Die Zwei-Staaten-Lösung, die von Eltern vor laufender Kamera vertreten wird, ist ein Feigenblatt, das nur dürftig den Vernichtungsantisemitismus überdeckt, dem die Kinder längst folgen.

Ada Ushpiz liefert uns Einblicke in ein System der Radikalisierung, das ausweglos erscheint. Jeder intime Einblick, in dem Kinder eben Kinder sind und über Liebe, Träume und die Welt reden, wird überdeckt vom palästinensischen Befreiungskampf, Märtyrertod oder kinderfressenden Juden. Das Erschreckende, das Ushpiz hier ausstellt, ist, dass die Kinder den Unterschied kaum mehr wahrnehmen. In der Schule, zu Hause, auf der Straße, überall lernen palästinensische Kinder, dass der einzige Weg aus ihrer Lage zu entfliehen, darin besteht die Juden und den israelischen Staat zu vernichten.

Ushpiz hat versucht einen Bilderkrieg von nur einer Seite aus zu zeichnen. Es gibt keine israelische Gegendarstellung. Und das entfalten seine Wirkung. Mit einer einfühlsamen Kamera, die immer wieder durch die Selbstinszenierung der Protagonisten in Frage gestellt wird, erleben wir, wie Kinder ihr ganzen Leben auf die politischen Zwecke der Elterngeneration ausrichten. Jugendliche spielen in den Straßen wie man bei Verhören schweigt, sechsjährige träumen vom Märtyrertod – jede Äußerung kindlicher Unschuld ist ein politischer Akt. Ada Ushpiz liefert Bilder, die kaum zu ertragen sind, die aber gerade durch ihre ausgestellte Künstlichkeit unheimlich authentisch sind.

EYCK-MARCUS WENDT

26.10.2020, 20 Uhr, CineStar 4

27.10.2020, 14 Uhr, CineStar 4

29.10.2020, 15 Uhr, Schaubühne Lindenfels

ab 27.10.2020 abrufbar auf CultureBase.org

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