»Ain’t No Time for Woman« (Sarra El Abed, C 2020)

»Feryel, wen wählst du?«, will die Friseurin wissen. In der einen Hand ein Föhn, in der anderen das Haar der Kundin. Politische Diskussionen gehören zum Friseursalon wie das Spitzenschneiden. Der Kurzfilm »Ain’t No Time for Woman« von Sarra El Abed erzählt vom Präsidentschaftswahlkampf 2019 in Tunesien. Die Frauen im Friseursalon fragen sich: Welcher der 26 Kandidaten wird sein Amt wohl nicht missbrauchen?

Vor neun Jahren zerfiel die tunesische Diktatur unter Ben Ali. Das Land transformierte sich zu einer Demokratie. Die Präsidentschaftswahlen 2019 sind die zweiten Wahlen, die das Land seitdem erlebt. Für Furore sorgt der Wahlkampf allemal — während einer der Kandidaten im Gefängnis sitzt, heizt ein anderer den Kampfgeist der tunesischen Frauen an. Abdelfattah Mourou, Kandidat der islamischen Partei Ennahda, ist umstrittenes Gesprächsthema im Friseursalon. Ein Aufleben des religiösen Konservatismus empfinden die meisten als Niederlage.

»Ich schneide dir die Haare kurz, ganz kurz, wegen der dämlichen Sache, die du da vorhast.«, droht eine Friseurin, als sie erfährt, wen ihre Kundin wählen will. Gespannt hängen wir an den Lippen — oder Untertiteln — der Frauen, die für 19 Minuten Einblicke in ihre Lebensrealität gewähren. Der Film fängt dabei die Hektik des Salons ein und dramatisiert sie mittels schneller Schnitte und hastiger Kameraführung. Humorvoll, aber mit einer Ernsthaftigkeit, die die Wucht der politischen Realität auf ihrer Seite hat, erleben wir die Debatten unter den Frauen. Sie machen die demokratische Zerreißprobe des Landes sichtbar und greifbar. Eine absolute Empfehlung!

LEONIE ZIEM

Teil der Kompilation »It’s Politics, Stupid!«

27.10.2020, 21:45, Cinémathèque Leipzig
28.10.2020, 20:45, Schaubühne Lindenfels
29.10.2020, 12:00, CineStar 2
ab 28.10.2020 abrufbar auf CultureBase.org