Allgemein DOK Leipzig 2020 Filmrezensionen

Der Berg ruft

»Wir wollten alle Fiesen killen« (Bettina Ellerkamp/Jörg Heitmann, D 2020)

Ein verflixtes Labyrinth tut sich hier auf. »Wir wollten alle Fiesen killen« ist ein unglaublicher Schichtsalat, der irgendwann übersättigt. Dabei geht es nur um einen Berg und dessen Inneres. Barbarossa im Kyffhäuser, Frau Holle in den Hörselbergen oder die Jungfrau im Inselsberg: Thüringen ist nicht nur voller Berge, sondern auch voller Sagen über diese. Rothenstein zählt nicht dazu – bisher. Denn die Doku fördert Sagenhaftes en masse über die Erhebung in der Nähe Jenas zutage, das für mehr als eine Erzählung taugt.

Man könnte den Film einen Sagenschatz nennen, in dem die Einzelteile derart ineinander verkeilt sind, dass er einem Entwirr- oder Geduldspiel gleichkommt. Im Kern geht es um die Stollen im Berg, wo im Nationalsozialismus Zwangsarbeiter geschunden wurden. Im Kalten Krieg lagerte die DDR-Volksarmee hier Munition für den heißen Krieg, dann übernahm die Bundeswehr die Tunnelgänge, renovierte sie und stieß sie schließlich an einen Privatinvestor ab. Heute stehen sie leer. Ein Luxus-Bunker-Entwickler aus den USA will hier angeblich Appartements für die Endzeit einrichten.

Das hätte man einfach erzählen zu können. Doch so simpel mögen es Bettina Ellerkamp und Jörg Heitmann nicht. Sie lieben es offenbar barock und statt eine glatte Erzählebene zu ziehen, legen sie diese in Falten. So kommt ausschnitthaft die Berghistorie seit der Urgeschichte ins Bild. Experten und Zeitzeugen werden als Talking-Heads neben Aufnahmen aus dem Tunnelinnern geschnitten. Das hat einigen Charme – anfangs. Denn das ist inhaltlich alsbald so überbordernd, dass man es nicht glauben mag. Und im Heimkino anfängt, die Suchmaschine zu befragen, was denn davon wirklich stimmt. Denn der Eindruck eine Mockumentary verstärkt sich mit zunehmender Abspielzeit.

Das liegt sowohl an der fehlenden Einordnung wie der Darstellung. Der Regisseur taucht anfangs als Ich-Erzähler auf und behauptet, der Bunkerbesitzer zu sein. Dann tauchen zig Personen auf, die nie vorgestellt werden und etwas von Flucht und Bratwurststand, Pilzesammeln und Selbstmorde russischer Soldaten, Munitionsputzen und die Angst vorm Ernstfall und vieles andere mehr sprechen. Da wird ein Investor auf einem Motorboot liegend inszeniert, der bei Jahreszahlen mehrfach korrigiert werden muss und deswegen sowie aufgrund der Pose unglaubwürdig erscheint. Eine Geomantie-Hellseherin will den Berg umarmen und berichtet ernsthaft von den diversen Energieströmen in den Stollen. Wozu sie da ist, was sie da macht und weshalb sie zur Doku beiträgt, erschließt sich nicht.

Schicht um Schicht reihen die Filmemachenden auf, einen Fokus haben sie nicht. So verliert sich der Reiz ihres Themas, ja: wird dieses beliebig. Dem Tipp »Kill your Darlings« zu folgen, hätte der Doku gut gestanden.

TOBIAS PRÜWER

30.10.2020, 20:30 – 22:01, CineStar 2

31.10.2020, 20:00 – 21:31, Hauptbahnhof Osthalle

01.11.2020, 17:00 – 18:31, Cinémathèque Leipzig

Ab 31.10.2020 – 14.11.2020 abrufbar auf CultureBase.org

https://www.dok-leipzig.de/film/wir-wollten-alle-fiesen-killen/programm

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