Eine Hommage bietet einen Querschnitt durch das politische Kino Ruth Beckermanns
Unter dem Titel »Dokumentieren/Demonstrieren« versammelt das Dubnov-Institut in Zusammenarbeit mit DOK Leipzig fünf der insgesamt elf vorwiegend dokumentarischen Langfilme sowie zwei kurze Vorfilme, die die in Wien lebende Ruth Beckermann seit Ende der 1970er Jahre gedreht hat. Als Mitbegründerin des Verleihs »Filmladen« und der Interessensgemeinschaft Österreichischer Dokumentarfilm zählt sie auch abseits ihres Filmschaffens im engeren Sinne zu den zentralen Protagonistinnen der unabhängigen Szene Österreichs. Zu ihren Sujets gehören u.a. das jüdische Leben und die jüdische Diaspora, die gegen Widerstände durchgeführte Auseinandersetzung mit dem Holocaust und der NS-Zeit sowie politische und soziale Lagen, aber auch persönliche Porträts. So etwa Die Geträumten (2016) – Beckermanns erster und bislang einziger Spielfilm, in dem sie die fragile Liebe zwischen dem Lyriker Paul Celan und der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann inszeniert und zwar an Hand der Briefe , die die beiden einander über fast zwei Jahrzehnte hinweg geschrieben haben.
Die Formen, in denen sich Beckermanns Erzählungen äußern, sind vielfältig. Sie sind mal eher reduzierten Charakters – beobachtend oder vornehmlich aus Interviews bestehend – mal essayistische Raum- und Milieu-Begehungen oder wie im Falle von Die Geträumten hybrider Art. Die Briefdokumente treten hier neben Fiktionalisierungen und durchdringen sie. Die Eindringlichkeit des Beziehungsdramas resultiert nicht zuletzt aus den präzise eingesetzten inszenatorischen Elementen, dem Zusammenspiel der physischen Performance der Schauspieler und den Kameraoperationen etwa, aber auch dem Drehbuch, das die Phasen der Anspannung, des Schweigens, der Wiederannäherung, die sich zwischen Bachmann und Celan abspielten, in eine filmische Zeit übersetzt.
Häufig orientieren sich Beckermanns Arbeiten am Prinzip des Road Movies. Begegnungen, wechselnde Orte, persönliche Berichte und die Eindrücke der Reisenden selbst strukturieren den Gang der Erzählung, deren Offenheit und Unvorhersehbarkeit einer Erkundung entsprechen. Reisen, Suchen und Denken fallen hier in eins. An einer abgeschlossen, endgültigen Form ist Beckermann nicht interessiert.
In Die Papierne Brücke (1987) reist sie ins Schicksal der eigenen Familie, produziert Bilder für die Überlebendengeschichten, die sie aus der Kindheit kennt. Der Wunsch, unmittelbar mit den Erfahrungen der Angehörigen in Kontakt zu kommen, ihre Biografien mit den Plätzen zu verbinden, an denen sie sich zugetragen haben, veranlasst Beckermann dazu, die Fluchtrouten, die ehemaligen und aktuellen Heimatorte ihrer Verwandten zu bereisen: den rumänischen Teil der Bukowina, die Gegend um Osijek (heute Kroatien) sowie Wien. Die Gegenwart der jüdischen Community in den späten 80er Jahren in Nordrumänien ist geprägt von zwei Bewegungen – einerseits von der Emigration vieler Bewohner nach Israel, andererseits vom Abschiednehmen der in Europa Bleibenden. Ein Ort also, der sich zugleich in einem Auflösungsprozess befindet und dennoch hoch frequentiert ist. Neben die auf Schmalfilm gedrehten Bilder treten persönliche Erzählungen auf der Tonebene. Beckermann schildert die Überlebensstrategie Oma Rosas, die der Deportation nach Theresienstadt entging. Interviews mit dem aus Czernowitz stammenden Vater, der den Krieg in der Roten Armee überlebte und dann ein Modegeschäft im Wiener Stadtzentrum eröffnete, lässt Beckermann Protestszenen folgen. Im Sommer 1986 stehen sich aufgebrachte Menschen gegenüber. »Waldheim nein!« skandieren die einen, »Waldheim ja!« pöbeln die anderen. In Die Papierne Brücke – ein Stück Aufarbeitung der Judenvernichtung – brechen die Antisemiten ein. Die Erregung ist so groß, dass sie alle Hemmungen fallen und ihrem Hass freien Lauf lassen: Tiraden und Beleidigungen auch gegen Beckermanns Vater. 30 Jahre später nimmt sich Waldheims Walzer (2018) genau dieser Geschehnisse wieder an, die Österreich als Ganzes ergriffen haben. Immerhin ging es um nicht weniger als um das Narrativ, erstes Opfer Nazi-Deutschlands gewesen zu sein. Österreichische Täter waren darin nicht vorgesehen und wurden exkulpiert. Ausschließlich mit found footage rekonstruiert Beckermann die Affäre um die Präsidentschaftskandidatur Kurt Waldheims, der zuvor u.a. jahrelang UN-Generalsekretär war. Während des Wahlkampfs wurde offengelegt, dass er seine Kriegsbiografie erlogen, Täterschaft und Mitgliedschaft in der SA zunächst verschwiegen, dann geleugnet hat. Waldheims Walzer ist die präzise Analyse des Typen »Populist« und der Funktionsweise der Medien als Machtinstrument. Bezeichnender Weise hat Beckermann nicht einfach nur Materialien kompiliert, die sie aus TV-Archiven weltweit zusammengetragen hat. Die Proteste der Waldheim-Gegner, während derer es zu den antisemitischen Aktionen kam, sind beim ORF überhaupt nicht verzeichnet, weil dieser darüber nicht berichtete. Die gezeigten Bilder stammen von Beckermann selbst, während des Drehs zu Die Papierne Brücke entstanden. Rekursionen, Verwebungen und intertextuelle Verweise wie diese, durchziehen ihr Werk.
Im thematischen Kontext von Erinnerungspolitiken galt die vom Hamburger Institut für Sozialforschung konzipierte und ab 1995 gezeigte Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944« als die Maßnahme der 1990er Jahre, die die größte Öffentlichkeit erreichte. Die als »Wehrmachtsausstellung« bekannt gewordene Fotoschau zeigte Wehrmachtssoldaten und die von ihnen begangenen Verbrechen, die vor allem als Teil der NS-Vernichtungspolitik in Osteuropa verübt wurden. Einen öffentlichen Skandal verursachte die Schau, weil sie Blicke ins Fotoalbum des bis dahin als weitestgehend »sauber« geltenden Wehrmachtssoldaten gewährte. Jenseits des Krieges (1996) zeigt die Reaktionen von Veteranen und Zeitzeugen – Leugnungen, Streitgespräche, unverhohlenes Ablehnen der Schau, weniger häufig Bedauern und Scham. Auffällig dabei ist, dass Beckermann darauf verzichtet, die Dokumente der Verbrechen zu zeigen, sich vielmehr auf die vor der Kamera Anwesenden konzentriert. »Talking Heads« werden hier zum zentralen Erzählprinzip erhoben. Nicht nur berichten Augenzeugen von Verbrechen – u.a. der Erschießungen von russischen Kriegsgefangenen, der Ermordungen von Juden – auch werden die Fehlfunktionen – individuellen wie kollektiven – Erinnerns überdeutlich sichtbar. Grund der damaligen reaktionären Erregung war u.a. die großformatige Präsentation jubelnder, lachender Mörder. Auch wenn diese Dokumente in Jenseits des Krieges ausgespart werden, sieht man dennoch Faschisten, wie sie tätig sind, in ihrer Überzeugung ungebrochen und ideologisch gefestigt. Beckermann allerdings – selbst kaum im Bild, aber mit einigen Ausstellungsbesuchern im Gespräch – bietet keinen Raum dafür, Entschuldungsphrasen vorzubringen oder Opferinszenierungen aufzuführen.
SEBASTIAN GEBELER
https://filmfinder.dok-leipzig.de/en/?&search=RUTH%20BECKERMANN
30.10.2018, 12:30 Uhr, Passage Kinos
Die papierene Brücke
Österreich | 1987 | Dokumentarfilm | 95 Min | deutsch | Untertitel englisch
30.10.2018, 15:30 Uhr, Passage Kinos
Ein flüchtiger Zug nach dem Orient
Österreich | 1999 | Dokumentarfilm | 82 Min | deutsch | Untertitel englisch
31.10.2018, 12:30 Uhr, Passage Kinos
Mozart Enigma
Österreich | 2006 | Dokumentarfilm | 1 Min | deutsch | Untertitel englisch
Die Geträumten
Österreich | 2016 | Spielfilm | 89 Min | deutsch | Untertitel englisch
01.11.2018, 12:30 Uhr, Passage Kinos
American Passages
Österreich | 2011 | Dokumentarfilm | 120 Min | englisch | Untertitel deutsch
02.11.2018, 19:15 Uhr, Passage Kinos
Auf amol a Streik
Österreich | 1978 | Dokumentarfilm | 24 Min | deutsch | Untertitel englisch
Waldheims Walzer
Österreich | 2018 | Dokumentarfilm | 93 Min | deutsch, englisch, französisch Untertitel englisch