
»I Had a Dream« erzählt vom Auseinanderbrechen der italienischen Gesellschaft
Manchmal wird etwas erst möglich durch das Scheitern von etwas anderem. »I Had a Dream« ist so ein Fall. Ursprünglich sollte er die Reaktion zweier italienischer Politikerinnen auf die Wahlniederlage Silvio Berlusconis erzählen. Doch dann gewann Berlusconi 2008 die Wahlen, das Projekt zerplatzte und die Regisseurin Claudia Tosi musste sich etwas Neues überlegen.
Das Ergebnis »I Had a Dream« dokumentiert über 10 Jahre hinweg, den Kampf der Politikerinnen Manuela und Daniela gegen patriarchale Strukturen, die einen Berlusconi erst möglich machten und gegen die Populisten. Tosi begleitet sie zu Wahlkampfveranstaltungen auf Marktplätze, in Sitzungen und eine der beiden bis zur Chemotherapie.
Das ist eindrücklicher und macht vieles verständlicher als es lange Leitartikel könnten. In anfangs sehr unscharfen und verwackelten, zum Ende hin jedoch immer besseren Bilden, fängt Tosi an der Seite ihrer Protagonistinnen ein Land ein, in dem die Bürger das Vertrauen in die Politik verloren haben. Dabei erinnert vieles an Probleme, die auch hierzulande längst nicht gelöst sind. Und dennoch erschrecken die Armut, der Hass auf Migranten, aber vor allem die Resignation der Menschen, denen Manuela und Daniela auf ihrer Arbeit tagtäglich begegnen. Während die Populisten immer stärker werden, zerfleischen sich sowohl die Bewegung für die Frauen, als auch die demokratische Partei, der beide Frauen angehören, lieber selbst.
Schon 2008 ist das so und wird mit den Jahren noch schlimmer. Um den Film von Beginn an in der Gegenwart zu verankern, wendet Tosi einen Kunstgriff an. Sie zeigt ihre Protagonistinnen dabei, wie sie sich die Aufnahmen der zehn Jahre ansehen und lässt sie diese kommentieren. So bleibt alles stets im Bezug zum Heute das in Italien für jeden Freund der Demokratie ein eher düsteres ist. Entsprechend müde sind Manuela und Daniela auch, während sie vor der Leinwand das letzte Jahrzehnt rekapitulieren.
»I Had a Dream« ist das schmerzhafte Porträt eines Landes, in einer schweren Krise. Eine Dokumentation, die genau hinschaut und mit ihren Protagonistinnen zwei Politikerinnen gefunden hat, die ein wohltuendes Gegenbeispiel sind zu den Berlusconis und Trumps dieser Welt. Am Ende bleibt die Frage, was geschieht mit einer Demokratie, deren Bevölkerung das Vertrauen in ihre Repräsentanten verloren hat.
JOSEF BRAUN
»I Had a Dream«
Internationaler Wettbewerb| Italien, Frankreich | 2018 | Dokumentarfilm | 84 Minuten | italienisch | englisch Untertitel | Weltpremiere
CineStar 5 02.11.2018 / 19:00 / 8,50 EUR / #524
Passage Kinos Universum 03.11.2018 / 21:30 / 8,50 EUR / #665
Originaltitel: Avevo un sogno
Land: Italien, Frankreich
Jahr: 2018
Sprache: italienisch
Untertitel: englisch
Laufzeit: 84 min.
Format: DCP
Farbe: Colour
Regie: Claudia Tosi
Produktion: Claudia Tosi, Nathalie Combe
Kamera: Claudia Tosi, Andrea Gioacchini
Schnitt: Marco Duretti
Musik: Daniele Rossi, Enrico Pasini
Ton: Diego Schiavo
Buch: Claudia Tosi
https://filmfinder.dok-leipzig.de/de/film/?ID=21602&title=I+Had+a+Dream