»Waldheims Walzer« von Ruth Beckermann
Kurt Waldheim streckt die langen Arme aus, grinst und verkündet süffisant: »Sie werden nichts finden. Wir waren anständig«. Anstand, Moral, Wahrheit, Lüge – in Ruth Beckermanns Archiv-Montage »Waldheims Walzer« werden diese Werte zur Referenz für die Dehnbarkeit vermeintlich feststehender Normen und deren ganz individuell ausgelegte Interpretation. Für ihr beeindruckendes Werk seziert die Regisseurin die sogenannte »Waldheim Affäre«, die ab 1986 erst die österreichische und dann die Weltöffentlichkeit erschüttert.
Anlass ist Kurt Waldheims Kandidatur für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten. Zu diesem Zeitpunkt hat Waldheim bereits eine erstaunliche Beamtenlaufbahn hinter sich, die ihn 1972 bis 1981 gar an die Spitze der Vereinten Nationen katapultiert. Als Generalsekretär der UN beeinflusst er mit seiner Stimme die internationale Wahrnehmung verschiedenster Themen und Konflikte. »Ein Österreicher, dem die Welt vertraut« wirbt die Kampgane der ÖVP 1985. Und tatsächlich: sollten Außerirdische jemals die Datenplatte der Voyager Golden Record finden, werden sie ausgerechnet Waldheims Stimme darauf hören, die die große »family of men« preist. Das ist zum Fürchten… Denn spätestens im März 1986 rücken bisher verschwiegene Details aus Waldheims Vita ins Licht der Öffentlichkeit: u.a. der World Jewish Congress gibt bekannt, dass Waldheim SA-Mitglied und Mitglied des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes war und zeitweise unter Generälen diente, die schwerer Kriegsverbrechen schuldig waren. Waldheim leugnet das und leistet mit seinen Aussagen gar einer Welle offen antisemitischer Hetze über die geheime jüdische Weltverschwörung Vorschub. So würden die linken Sammlungsbewegungen »die freie westliche Demokratie« missbrauchen, plärrt er selbst ins Mikro. Ausschließlich über Archivmaterial erzählt und nur gelegentlich aus dem Off kommentiert ist »Waldheims Walzer« ein Polit-Krimi allererster Güte. Das sorgsam kuratierte Material aus Interviews, Nachrichten, Wahlkampfveranstaltungen oder selbstgedrehten Sequenzen legt die Mechanismen der Macht offen, die es ermöglichen, dass die Täter des Zweiten Weltkriegs jahrzehntelang unbehelligt ihre Karrieren verfolgen konnten und es unfassbarer Weise selbst bei offenkundig nachweisbaren Belastungen anmaßend und selbstsicher fertig brachten zu behaupten: »Sie werden nichts finden. Wir waren anständig«. Aber »Waldheims Walzer« ist auch ein wichtiges Zeugnis darüber, wie dringend benötigt eine wachsame Zivilgesellschaft ist – damals wie heute. Unbedingt anschauen!
INGA BRANTIN
»Waldheims Walzer«
Homage Ruth Beckermann | Austria | 2018 | Documentary Film | 93 min. | English, French, German | English subtitles
Passage Kinos Wintergarten / 02/11/2018 / 19:15
Country: Austria
Year: 2018
Language: English, French, German
Subtitle: English
Runtime: 93 min.
Format: DCP
Color: Colour
Director: Ruth Beckermann
Producer: Ruth Beckermann
Editor: Dieter Pichler
Sound: Manuel Grandpierre, Rudolf Pototschnig
Script: Ruth Beckermann