»Niñxs« von Kani Lapuerta
»Hast du dir darüber Gedanken gemacht, wie du deine Geschichte erzählen willst?«, fragt der Filmemacher Kani Lapuerta seine Protagonistin Karla. »Von hinten nach vorne, oder andersherum?«. Karla entscheidet sich für andersherum.
Der Dialog zwischen den beiden zieht sich als Voice Over durch den ganzen Film. Dass Karla so viel bestimmen und selber erzählen darf, ist nicht einfach ein filmisches Mittel, sondern etwas, das Transpersonen immer wieder verwehrt und abgesprochen wird: Eine eigene Stimme. Es gibt kaum Filme mit Protagonist*innen wie Karla. Und es gibt noch viel weniger Filme, in denen Protagonist*innen wie Karla selber erzählen dürfen.
In »Niñxs« darf sie es. Wir lernen Karla als Kind kennen. Sie lebt mit ihren Eltern in Tepoztlán, einem kleinen Ort etwa eine Stunde Autofahrt südlich von Mexiko. Hier hat Regisseur Kani Lapuerta, der selber trans ist, Karla und ihre Eltern acht Jahre lang begleitet. Ergänzt wird das Material durch Videos, die Karla und ihre Freund*innen mit Webcams und Smartphones aufnehmen. Sie verkleiden sich, experimentieren mit Make-Up, tanzen, machen Sketche. Während des Corona-Lockdowns erstellt Karla ein TikTok-Profil. Das habe ihr die Freiheit gegeben, zu sein, wer sie wollte, beschreiben Karla und Kani, »exploring identity«, nennen sie es. Identität erkunden.
»Niñxs« erzählt lebendig aus Karlas Alltag und Älterwerden. Wir begleiten sie und die Eltern, Assur und Chio, bei einem Zoom-Termin mit einer Ärztin. Wir sehen Karla und ihre Mutter in einem kleinen Park. Während die beiden Schaukeln, sagt Chio: »Lass dir niemals von jemandem einreden, du seist keine echte Frau«. Wir sitzen mit Karla und Assur im Auto, sie wollen Karlas neue Dokumente mit ihrem Namen beantragen. »Ich bin gekommen, um die Rechte meiner Tochter einzufordern!«, kündigt der Vater an, liebevoll und euphorisch. Es sind diese Momente, in denen man vor Glück weinen möchte.
Kani Lapuerta erzählt die Geschichte einer jungen trans Person nicht als tragisch oder schicksalshaft, sondern froh, witzig und voller Hoffnung. »Ich fände es schön, wenn die Zuschauer*innen lachen würden,« erklärt Karla Kani, »und dass es kein tragischer Film ist. Schließlich gibt es sonst nie Filme, in denen wir glückliche Leben führen dürfen.«
Das bedeutet nicht, dass »Niñxs« Karlas Leben romantisiert oder Herausforderungen und Frustration verschweigt: Karla ist das einzige trans Mädchen an ihrer Schule, sie erlebt Dysphorie, fühlt sich oft einsam und verloren. Ihre größte Angst ist es nicht, zu sterben, sondern umgebracht zu werden. Sie erlebt emotionale Zusammenbrüche: »Ich bin zu viel Glitzer für zu wenig Welt«.
Es ist diese sanfte Gleichzeitigkeit von Hoffnung und Herausforderung, die den Film zu einem Meilenstein in der Repräsentation von Transpersonen macht. »Niñxs« ist eine Dokumentation, die nicht erklärt, sondern zeigt. Dabei geht es auch immer wieder darum, wie viel Unterstützung es innerhalb der mexikanischen trans Community gibt, und wie Familien aussehen, in denen Eltern akzeptieren, wer ihre Kinder sind.
Das Ende erzählt Karla ohne Kani. Sie bekommt das letzte Wort, sie darf bestimmen, wie wir aus dem Film rausgehen. Das Ergebnis sind Pride-Flaggen in weiß, hellrosa und hellblau, laute Musik, jubelnde Menschen, viele Umarmungen und Gesichter, die voller Zuversicht strahlen. ELSKE BECKMANN
Kani Lapuerta
Mexiko und Deutschland 2025
84 Min.
29.10. 17:00 Uhr Passage Kinos Astoria
30.10. 11:30 Uhr Passage Kinos Astoria
01.11. 15:00 Uhr Cinestar 5
