Allgemein Filmrezensionen

Gut gebrüllt, Möwe!

»The Inheritors« lässt den Menschen in den Spiegel tierischer Nachbarn blicken

»Nanu, der Stiel war doch eben noch nicht da. Wieso steht der hier rum und was weht da oben dran?« Man scheint die Gedanken der Vögel lesen zu können, denen man hier auf Augenhöhe begegnet. Mal scheinen sie verschmitzt, mal empört, mal gelangweilt zu sein. Natürlich sind das nur Projektionen. Aber es ist schwer, sich dieser Vermenschlichung auf Dauer zu entziehen. Und dann beginnt man irgendwann, sich am gegenseitigen Lachen der Möwen zu erfreuen, was auch immer das in Wirklichkeit ist.

In der Nähe des kanadischen Montreals machen Ringschnabelmöwen jedes Jahr halt auf ihrer Reise. Im Frühjahr lassen sie sich zum brüten nieder und bilden eine riesige Kolonie – gleich neben Kanadas größter Mülldeponie. Damit die Arbeiter dort nicht gestört werden und auch damit keine Möwen zu schaden kommen, werden sie von kurzzeitig verscheucht, wenn Laster ankommen und täglich 6.000 Tonnen Müll verkippen. Dazu werden Schreckschussmunition und ein Falke eingesetzt – ein schonender Umgang. Denn die Tiere stehen unter Naturschutz.

So sind dann auch der Falke und der sporadische Besuch von Tierschützern Störfälle für die Bewohner der Möwenkolonie. Eigentlich ist es ein Wunder, dass es sie gibt. Denn die Ringschnabelmöwen waren einmal fast ausgestorben, weil der Mensch ihnen den Lebensraum nahm. Dank Anpassung an die menschlich verformte und veränderte Umwelt zählen sie heute zu einer der zahlenmäßig größten Vogelarten weltweit. Was die Eindringlinge genau machen, was die Ringe und am Flügel angebrachte GPS-Sender genau bezwecken, welches Bild das Datensammeln ergibt, erfährt man nicht. Auch nicht, was die Untersuchungen von Mageninhalten toter Tiere ergeben. Das ist ein bisschen schade und man muss sich anderswo hierüber belesen. Hier etwa: https://www.concordia.ca/cunews/main/stories/2023/06/15/montreals-biosphere-will-be-showing-an-immersive-spherical-film-by-concordia-faculty-and-students-for-the-next-9-months.html

Regisseur Serge-Olivier Rondeau verzichtet auf alle Informationen und Einordnung. Mn ist auf sich selbst beziehungsweise auf die Möwen geworfen. Daher lädt der Film ein zur Meditation, die verschiedene Wege nehmen kann. Natürlich kann man über Umweltverschmutzung nachdenken, über Vermüllung und deren Bekämpfung. Faszinierend sind die Nahaufnahmen, in denen die Tiere zu beobachten sind. Man sieht ihr klar definiertes Gefieder und die hellen Augen. Und kann ihnen über die Brutsaison zuschauen, wie sie aufeinander herumturnen, als ob sie voltigieren würden. Man sieht spielerische Interaktionen und Necken, später das Ausbrüten und das Schlüpfen der Küken. Daher kann das Material auch einfach zur Feier des Lebens und seines Kreislaufs anleiten.

TOBIAS PRÜWER

»The Inheritors«

Serge-Olivier Rondeau

Internationaler Wettbewerb Dokumentarfilm

Kanada 2025

79 Minuten

Französisch

Untertitel: Englisch

Weltpremiere

https://www.dok-leipzig.de/film/inheritors/programm

28.10.2025, 12 Uhr, CineStar 5

29.10.2025, 17.30 Uhr, CineStar 7

01.11.2025, 15 Uhr, CineStar 2

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