Allgemein Filmrezensionen

Dokument des Verdrängens

In »A Jewish Problem« ringt der Protagonist mit seiner Herkunft – mit unlauteren Mitteln

Die Grenzen zwischen subjektivem Urteil und Fehlwahrnehmung, zwischen Meinung und Verschleierung sind gewiss fließend. »A Jewish Problem« stellt das unter Beweis. Der Film ist Ron Rothschilds Auseinandersetzung mit der eigenen jüdischen Familiengeschichte, seiner Militärzeit und seinem Verhältnis zu Israel und mit seiner Perspektive auf den sogenannten Nahostkonflikt. Und klar, das Feld ist vermint.

Rothschilds Großeltern flohen vor der Shoa, waren am Aufbau Israels beteiligt, ebenso daran, was die einen Unabhängigkeitskrieg nennen, die anderen Nakba. Damit ist die Vertreibung der Araber gemeint. Die einen behaupten, rund 700.000 Palästinenser hätten nach der Staatsgründung Israels 1948 freiwillig das Gebiet verlassen. Sie seien von ihren Anführern dazu veranlasst worden, um nach dem Sieg arabischer Milizen – und später der arabischen Allianz –zurückzukehren. Die anderen sprechen von geplanter Vertreibung, der »Nakba«. Wahrscheinlich fand beides zugleich statt. Und dass viele jüdische Menschen in dieser Zeit aus arabischen Ländern vertrieben worden sind, steht noch einmal auf einem anderen Blatt. Rothschild schlägt sich entschieden auf die propalästinensische Seite.

Er beschreibt die Nakba als reine planvolle Vertreibung, die realiter so nicht stattfand, nennt sie »ethnische Säuberung«. Dazwischen schneidet er Interviewteile mit seiner Großmutter, die unter anderem erzählt, wie Soldaten Mobiliar aus verlassenen arabischen Häusern Mobiliar stahlen. Videomaterial aus seiner Militärzeit – er war als Kameramann eingesetzt – ist zu sehen, allerdings dekontextualisiert. Zivilisten neben Militär abzubilden, erzeugt immer Unbehagen. So entsteht pars pro toto ein ziemlich totalitäres Bild eines Kolonialstaats. Dieses derzeit so en vouge Wort für Israel fällt im Film nicht, aber es drängt sich auf. Immerhin wird eine direkte Linie vom Holocaust zur Staatsgründung gezogen, nirgends erwähnt, dass auch vorher schon Jüdinnen und Juden auf dem Gebiet des heutigen Israels lebten.

Mit Rotschilds Umzug nach Deutschland, so sagt er, habe ein Umdenken eingesetzt. Man könnte auch von einem Distanzierungsprozess zu Israel sprechen. Und sicherlich muss es sich für Rothschild in Berlin-Neuköln merkwürdig anfühlen, dass um ihn herum massenhaft Palästinenser leben und protestieren gegen Verhältnisse in seiner alten Heimat. Daraus kann er seine Schlüsse ziehen, aber erlaubt das Auslassungen und Entkontextualisierungen?

Der Terror vom 7. Oktober 2023 wird einmal erwähnt: Mehr als tausend Menschen seien brutal ermordet worden, als »palästinensische Kämpfer« die »Belagerung Gazas« durchbrachen. Das ist eine bewusst gesetzte Wortwahl. Rothschild zeigt dann Ausschnitte einer Berliner Nakba-Demo, die drohte, unter dem »Vorwand des Antisemitismus« verboten zu werden, wie er sagt. Die Bilder sind harmlos, aber dass auf solchen Demos auch regelmäßig Gewalt gegen Polizei und Presse stattfindet, dass das Auslöschen Israels gefordert wird, das lässt Rothschild aus – oder weiß er das nicht? Von Angriffen auf Jüdinnen und Juden in Berlin ist ebenfalls nichts zu erfahren.

Zudem zeigt er ohne Einordnung ein Plakat für eine »Revolutionäre 1. Mai-Demo«, zu der antisemitische marxistisch-leninistische K-Gruppen aufriefen. Daneben sind immer wieder »Free Gaza«-Schriftzüge und die Landesfarben zu sehen, die wohl Rothschilds Lebensumfeld dominieren. Antisemitische Slogans, die unschwer auch dort zu finden sind, fehlen. Diese Leerstellen durch Unwissen zu erklären, fällt in Gänze schwer. Es drängt sich der Eindruck eines aktivistischen Films auf, der die radikal subjektive Sicht für mehr nutzt. Selbst wenn Rothschild einmal sagt, dass er sich nicht traut, Hebräisch im Bus zu sprechen, klingt darin noch Verständnis an. Rothschild fühlt sich irgendwie schuldig, sieht seine Großeltern in Verantwortung. Das ist legitim, entbindet ihn aber nicht aus jener Verantwortung als Dokumentarfilmer. So taugt sein Film am ehesten als Dokument, wie Verdrängungsprozesse Weltbilder formen. TOBIAS PRÜWER

»A Jewish Problem«

Ron Rothschild

Deutscher Wettbewerb Dokumentarfilm

Dokumentarfilm

Deutschland 2025

80 Minuten

Englisch, Deutsch, Hebräisch

Untertitel: Englisch

Weltpremiere

30.10., 18 Uhr, CineStar 2

31.10., 20 Uhr, Schauburg

1.11., 20 Uhr, Passage Kinos Astoria

https://www.dok-leipzig.de/film/jewish-problem/programm

3 Gedanken zu “Dokument des Verdrängens”
  1. Kater sagt:

    Alleine der Titel „A Jewish Problem“ hätte ja darauf hoffen lassen können, dass mehr als nur eine Facette behandelt wird, all jener Fragen die jüdische Identität(en) betreffen – besonders im Bezug auf den Israel-Palästina-Konflikt und das Leben in der Diaspora vor und nach der Staatsgründung Israels. Das Ausbleibenen eines wirklich sehr zentralen Aspekts der oben genannten Punkte, nämlich der grassierende Antisemitismus weltweit (ohne Antisemitismus kein Zionismus und ohne Antisemitismus gäbe es schon (bzw erstmals) seit 1948 einen palästinenischen Staat), lässt darauf schließen, dass sich Ron Rothschild vor allem von seiner eignen politischen Haltung treiben lässt. Konflikte, die im Rahmen des Krieges und der Geschichte zwischen israelischer und palästinensischer Bevölkerung auftauchen, erscheinen dann ohne eines Kontextes, in dem Antisemitismus ebenfalls eine entscheidende Rolle spielt, als rein ethno-kultureller Konflikt, wobei eine Seite (Israel) scheinbar ohnehin Fehl am Platz ist. Und ohne das Thematisieren des Antisemitismus erscheint auch Israels Handeln als überzogen und moralisch falsch. So lässt sich’s doch gut mit der Komplexität des Konflikts umgehen! Das „Jüdische Problem“ ist bei Rothschild nicht mehr der Umgang damit, dass die gesamte Welt Juden das Selbstbestimmungsrecht abspricht oder gar tot sehen will, sondern eine scheinbar jüdische Verklemmtheit oder Neurose durch die eigene Vergangeheit, die dem Recht der Palästinenser:innen im Weg steht und daher überwunden werden sollte. Von daher kann ich mich Prüwers Kritik an dem Film sehr gut anschließen. Krasses Zerrbild dieses Konflikts und absoluter Brandbeschleuniger eines ohnehin schon „post-faktischen“ Diskurs.

  2. tobias prüwer sagt:

    LiebeR Jona, danke für Deine Gedanken, auch wenn ich ihnen nicht folgen mag. Was ist denn ein »herkömmlicher Dok-Film«? Das Dokument feiert doch häufig subjektive Filme. Es geht, wie ich in meinem Text schon schrieb, ja nicht unbedingt um Ausgewogenheit. Lässt man aber Fakten weg, ohne darauf hinzuweisen, ist das mindestens fahrlässig. Ich habe mich doch auf den Film eingelassen, wie man meinem Text entnehmen kann. Sonst hätte ich ihm auch einfach plumpe Propaganda unterstellen können. Warum etwa werden die Demos in Berlin verharmlost, warum ist von Antisemitismus kein Wort zu vernehmen? Verantwortung hat auch ein Filmemacher. Wenn er bewusst Sachen verdreht oder auslässt, wird er mich sicher nicht zum Nachdenken über die Situation anregen, sondern darüber, warum er so vorgeht.

  3. Jona sagt:

    Puh. Schwierig.
    Ich finde es wird in dem Film mehr als deutlich das das kein herkömmlicher Dok-Film sein will der in alle Richtungen ausgewogen ,berichtet‘. Die eigene Ambivalenz von Rothschild habe ich deutlicher wahrgenommen. Eben zum Beispiel das er sich manchmal nicht traut die eigene Sprache in Berlin zu sprechen. Ich kann in der Szene nix relativierendes erkennen.
    Zu den Aufnahmen aus der Militärzeit: ich find den Vorwurf der Dekontextualisierung absurd. Er sagt im Film mehrfach im welchen zeitlichen Kontext und in welcher Rolle er war als er die Aufnahmen gemacht hat. Was soll er denn noch machen?
    Ich glaub Herr Prüwer hat einfach nicht verstanden, worum es Ron Rothschild geht. Schade. Und ärgerlich. Da kann der Autor nämlich in seiner Position bleiben wo er ist – ohne weiter nachzudenken. Abtun und Rückzug statt sich auf die Perspektiven von Betroffenen einzulassen. Schade. Gerade wenn man in der Verantwortung solche Texte zu veröffentlichen.

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