Der Freistaat Sachsen hat im aktuellen Doppelhaushalt 2025/26 die bisherigen Mittel für Inklusion des DOK Leipzig gestrichen. Ende Juni startete das Festival deshalb eine Crowdfunding-Kampagne. Mit dem erfolgreichen Ziel von 11.100 Euro nach Abzug aller Gebühren kann das Festival nun zumindest einen Teil des Filmprogramms barrierefrei gestalten. Festivalchef Christoph Terhechte über die Wichtigkeit barrierefreier Filmfassungen.
Wie war die Barrierefreiheit beim DOK Leipzig in den vergangenen Jahren aufgestellt?
Als ich hier ankam, gab es bereits ein gut funktionierendes und relativ gut ausgestattetes barrierefreies Angebot. Was heißt gut ausgestattet? Im Prinzip würde man erwarten, dass Inklusion so selbstverständlich ist wie der Fahrstuhl an der U-Bahn-Station oder am Bahnhof, so dass auch Menschen im Rollstuhl den Zug nehmen können. Das, was im öffentlichen Verkehr passiert, davon ist man in der Kultur noch weit entfernt. Und ich weiß, dass es auch im Verkehr nicht ideal ist für Menschen mit körperlichen Behinderungen, aber man ist dort sehr viel weiter.
Wie hoch waren die Mittel bisher und was war damit möglich?
Wir haben es nie geschafft, sämtliche Filme barrierefrei anzubieten mit Audiodeskriptionen und mit erweiterten Untertiteln und mit Gebärdensprachdolmetschen der Gespräche und so weiter. Wir haben ein Programm gehabt, was auch früher schon unzureichend war. Wir hatten damals um die 70.000 Euro im Jahr zur Verfügung, das ist vergleichsweise üppig, wenn man es mit anderen Filmfestivals oder anderen Kulturinstitutionen vergleicht. Aber es war auch damals so, dass wir immer nur einen kleinen Teil der Filme barrierefrei anbieten konnten. Wenn ich auf 2022 gucke, hatten wir 23 Filme mit erweiterten Untertiteln für Menschen mit Hörbehinderung und 13 Audiodeskriptionen für blindes und sehbehindertes Publikum. Wenn ich als blinde Person ins Festival will, habe ich also nur die Auswahl zwischen 13 Filmen. Das wäre ein relativ kleines Festival, wir zeigen ja über 200 Filme.
Wie wurde das Angebot wahrgenommen?
Für blinde und hörbehinderte Menschen sind wir eine echte Anlaufstelle geworden und galten im Freistaat Sachsen als Leuchtturmprojekt. Als es das erste Mal vor einigen Jahren zu einer Kürzung der Mittel kam, wurden die stark reduzierten Mittel für Inklusion aus dem sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus (SMWK) zumindest auf die Leuchtturminstitutionen verteilt, sodass sie weitermachen konnten. Unsere Mittel wurden auf 50.000 Euro reduziert. Das war schon nicht so toll, aber immerhin haben wir damit im Jahr 2024 noch 19 Filme barrierefrei untertiteln, zehn Audiodeskriptionen anfertigen, acht Filme in einfacher Sprache untertiteln und vier Filmgespräche mit Übersetzung in Gebärdensprache ausstatten können.
Diese Haltung, die es grundsätzlich gibt –„Naja, das ist doch eh für eine kleine Minderheit, das spielt auch keine Rolle“ – das ist einfach Blödsinn. Also gerade in den Gesprächen, die ich jetzt geführt habe im Zuge des Crowdfundings, ist mir nochmal aufgegangen, wie dramatisch die Situation ist. Man macht sich keine Vorstellung davon, wie viele Menschen auf erweiterte Untertitel angewiesen sind. Das ist auch oft eine Altersfrage. Es gibt auch sehr viele blinde Menschen, die drauf angewiesen sind, dass eine Audiodeskription erstellt wird, um ins Kino gehen zu können.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Das deutsche Filmförderungsgesetz sieht vor, dass eine Produktion, die hierzulande gefördert wird, eine Audiodeskription zu erstellen hat. Was dieses Gesetz nicht vorsieht, ist, dass diese auch hinterher zur Verfügung gestellt wird. Das heißt, die Filmfirma muss schätzungsweise 5.000 Euro oder mehr in die Hand nehmen, um eine Audiodeskription zu erstellen. Was sie dann hinterher damit machen, darüber gibt es keinerlei Vorschriften. Und die 500 Euro, die es kosten würde, um die Audiodeskription in die entsprechende App zu laden, damit blinde Menschen ins Kino gehen können und die Filme mit Autodeskription anhören, werden oft eingespart.
Eigentlich ist das Prinzip super: Man installiert die App auf dem Handy, lädt die Audiodeskription hinein und kann in jedes Kino gehen, das den Film zeigt. Über das Mikrofon synchronisiert sich die App, hört praktisch den Ton des Films und weiß, an welcher Stelle die Audiodeskription einzuspielen ist. Easy. Die Kinos müssen gar nichts machen dafür. Es muss nur der Filmverleih die Daten an „Greta & Starks“ schicken, um sie der App zur Verfügung zu stellen Genau das wird aber in einem großen Teil der Fälle einfach eingespart.
Was wiederum zeigt, dass es ganz wichtig ist, mit den Nutzer*innen zu reden, wenn man solche Gesetze macht. Man muss auch überprüfen, ob das Ergebnis stimmt. Ich finde, es ist ein Unding, dass genau an so einer Stelle mit dem Sparen angesetzt wird. Wir schließen auf solche Weise einen erheblichen Teil der Bevölkerung komplett von kultureller Teilhabe aus.
Ist es nach dem erfolgreichen Crowdfunding nun möglich, das Inklusions-Programm fortzusetzen?
Das Crowdfunding hat zwei Ziele gehabt. Das eine war erstmal eine Basis herzustellen, damit man das Angebot nicht komplett aufgibt, dass man den Menschen, die treu zum Festival gekommen sind und die angewiesen sind auf barrierefreie Filmfassungen, immer noch ein Minimalangebot anbieten kann, um sie nicht komplett außen vor zu lassen. Das andere, und das ist sicherlich genauso wichtig, war ein Zeichen zu setzen und zu sagen, es gibt echten Bedarf und wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, um diesen Bedarf zu decken. Und ich glaube, das ist durch das Crowdfunding sichtbar geworden.
Dass die Mittel für die Förderrichtlinie Inklusion in der Kultur des SMWK gestrichen wurde, ist eine Katastrophe für die Kultur und es muss dringend etwas passieren. Die Prioritäten müssen anders gesetzt werden.
Was wird aus dem gesammelten Geld entstehen?
Wir haben mit dem Geld keine Möglichkeiten, für die Eröffnung, für Filmdiskussionen oder ähnliches Übersetzungen in Gebärdensprache anzubieten. Das ist schon mal sehr bedauerlich. Was wir machen werden, ist, dass wir für drei Filme erweiterte Untertitel und für zwei Filme Audiodeskriptionen anfertigen lassen. Dank zwei Festivalpartnern wird es zudem noch einen dritten Film mit Audiodeskription geben. –
Damit haben wir drei Filme mit Audiodeskription und drei Filme mit SDH-Untertitelung (Subtitling for the Deaf and Hard of Hearing) und es gibt außerdem noch acht Filme, wo wir einfache deutsche Untertitel erstellen. Man muss sich dazu ja auch klar machen, dass auch die SDH-Untertitel in deutscher Sprache den Vorteil haben, dass sie Filme für Menschen zugänglich machen, die die Originalsprache des Films nicht verstehen, beziehungsweise die mit den englischen Untertiteln nicht so gut klarkommen. Die Filme, die wir von den Produzent*innen bekommen, sind zum allergrößten Teil englisch untertitelt. Mit den SDH-Untertiteln ist gleichzeitig auch gewährleistet, dass man dem Film auch in deutscher Sprache folgen kann. Genauso ist das mit den einfachen deutschen Untertiteln, die eine Brücke bilden, nicht nur für Menschen, die mit komplexer Sprache Schwierigkeiten haben, sondern auch für jeden, der dem Englischen nicht so schnell folgen kann, um Untertitel zu lesen. Das ist das Angebot, das wir nun finanzieren können. Es ist schön und gut, dass wir das überhaupt können, aber es ist viel zu wenig.
