
Dass »Flowers of Ukraine« von Adelina Borets, ein Film nicht nur aus der Ukraine, sondern direkt aus Leipzigs Partnerstadt Kiew, den Internationalen Wettbewerb Dokumentarfilm in diesem Jahr eröffnet, dürfte mehr als nur ein Zufall oder eine nette Geste sein.
Zu elektronisch anklingender Musik werden etwas heruntergekommene, triste, nach Vereinzelung aussehende Kiewer Hochhausfassaden in starren Bildern gezeigt, nach 37 Sekunden sind schließlich die ersten Blumen und Grünpflanzen zu sehen und nun beginnt auch die Kamera, sich zu bewegen und einen menschlicheren Blick zu bekommen. Ohne verbale Kommunikation folgt sie der Protagonistin Natalia und einigen anderen menschlichen und tierischen Bewohner:innen des großzügigen Gartengrundstücks, das Natalia gegen einige Widerstände immer noch zu behaupten und behalten weiß. Überhaupt, diese Natalia: Lebensfroh, trotzig, mitunter munter lachend, wenn andere betreten schweigen, arbeitet und kämpft sie für ein kleines Stück vom guten Leben für sich und ihre Nächsten.
Und dann ist eines Tages Krieg: Derselbe Blick, der eben noch Blumen und tollende Tiere beobachtet hat, filmt nun genauso neutral zerstörte Fassaden, Bombenschäden und Aufräumarbeiten. Dass Natalia auch hier im festen Glauben an das Richtige weitermacht, verwundert nicht, rührt aber dennoch.
Gentrifizierung, Kapitalinteressen, Krieg – einige der hässlichsten Probleme der Welt werden hier durch und mit Natalia ganz persönlich vermittelt und betrachtet.
Der dokumentarische Stil, nüchtern beobachtend, nahezu wertfrei, komplett ohne sichtbare Interaktionen mit den gezeigten Personen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass einige Szenen zumindest nachgestellt, wenn nicht inszeniert, wirken. Dieser Eindruck stellt sich allerdings nur recht selten ein und trübt das Seherlebnis kaum.
Die ukrainische Band DakhaBrakha, die den Großteil des Soundtracks beisteuert, ist eine energetische Erscheinung und echte Entdeckung: Kraftvoll, verspielt, treibend, träumend – diese Musik scheint sich mit Natalia gegen die Widrigkeiten der Welt aufzulehnen.
Solche persönlichen Geschichten, die die Folgen weltpolitischer Großereignisse im Privaten zeigen, gehören unbedingt erzählt, um große Substantive erfahr- und fühlbar zu machen und um zu zeigen, wieviel Hoffnung und Mut im Kleinen stecken können. MARTIN BURKERT
»Flowers of Ukraine«
R: Adelina Borets
Internationaler Wettbewerb Dokumentarfilm
Polen, Ukraine 2024, 70 Min.
28.10., 20:30 Hauptbahnhof Osthalle
30.10., 21:00 CineStar 5
03.11., 12:00 Cinestar 2