
»Living Large« von Kristina Dufková
Ben ist 12 Jahre alt und hat 2 große Leidenschaften: Musik und Essen. Er kocht wie ein Weltmeister und ist Frontmann einer kleinen Band, das Leben könnte so schön sein. Aber mit Begin der Pubertät und Kommentaren seines Vaters entwickeln sich auf einmal Zweifel an seinem Körperbild. Als ihm die Schulkrankenschwester dann bescheinigt, dass er auf dem Weg ist, Adipositas zu bekommen, will er eine Diät machen. Living Large zeigt das Ganze in einem liebevollen Stop-Motion-Stil und tatsächlich ohne viele Klischees: Ben ist überhaupt kein schüchterner Außenseiter, der es sowieso schwer hat, er ist beliebt, schlagfertig und selbstbewusst. Ein paar klassische Coming-of-age-Bausteine verwendet der Film aber doch. Die Gruppe älterer Jungs, die Ben ärgert, die geschiedenen Eltern und eine typisch frühpubertäre Liebesgeschichte machen dem Helden zu schaffen. Die amerikanischen Vorbilder werden da sehr deutlich und auch stilistisch lehnt sich der tschechische Film sehr stark an Hollywood an, sogar die Maßeinheiten der Waage werden in Pfund angegeben. Das ist gerade im Rahmen des Dok ein bisschen Schade, da ja außerhalb dieser Woche bereits genug englischsprachige Filme in den Kinos laufen. Dem Spaß, der Living Large macht, schadet das aber nicht.
Der Film geht sehr differenziert mit dem Thema Übergewicht um und zeigt dabei vor allem, dass auch ein sozial integrierter Mensch wie Ben es schnell schwer haben kann, wenn seine Welt etwas aus dem Gleichgewicht gerät. Kinder und Jugendliche werden sich sicher sehr mit den Schrecken des Sportunterrichts identifizieren können und auch die zärtliche Liebe zwischen Ben und seiner Klassenkameradin ist genauso fesselnd wie schön. Apropos schön, das Essen, das Ben zubereitet, sieht fantastisch aus (die Sushi-Szene aus Wes Andersons Isle of Dogs lässt grüßen) und die poppig-punkige Musik treibt die Szenen an. Dabei wird aber auch in allen Bereichen klar, dass es nie eine einfache Lösung gibt. Ben versteht, dass er eine Diät machen sollte, wenn er keine schlimmen gesundheitlichen Probleme riskieren will. Gleichzeitig schlägt der Verzicht auf sein liebstes Hobby ihm so stark auf die Stimmung, dass sein anderes liebstes Hobby, seine Band, darunter leidet. Schuld ist auch niemand so richtig, menschliche Beziehungen sind nun mal komplex. Sicher, die älteren Jugendlichen sind einfach gemein, aber die meisten Leute in Bens Umfeld meinen es nur gut und bewirken das Gegenteil. Und hier unterscheidet sich Living Large dann doch sehr von vielen Animationsfilmen: Es gibt keine wundersame Transformation, bei der am Ende alles gut und alle glücklich und verliebt sind, eine Sache kommt meistens auf Kosten einer anderen. Das heißt aber nicht, dass nicht doch Kompromisse möglich sind und es so wird am Ende doch wieder gegessen und gerockt und damit können alle happy sein: Ben, seine Band und die Zuschauenden des Films. ALEXANDER BÖHLE
»Living Large« (Život k sežrání)
R: Kristina Dufková
Tschechische Republik 2024, 80 Minuten
31.10. 18:00 Uhr Cinestar 2