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Das wird (mal wieder) großes Gewicht haben

Die 67. Ausgabe von DOK Leipzig startet Ende des Monats – wir haben einige Highlights zusammengefasst

Wie immer in den letzten Jahren präsentiert sich DOK Leipzig in der ganzen Stadt mit einem etwas kryptischen Alltagsgegenstand, dieses Jahr sind es zwei klassische Gewichte, wie man sie vielleicht noch von Großmutters alter Küchenwaage kennt. Nach dem Schalter und der Schere der letzten beiden Jahre haben die durchschnittlichen Doku- und Animationsfans vermutlich mit diesen Gewichten im Alltag gar nicht so viel zu tun, dafür ist die Interpretation dieses Mal etwas leichter: Welches Gewicht, welche Schwere oder auch Gravitas messen wir bestimmten Situationen bei?

DOK Leipzig will natürlich wie immer so viele Perspektiven wie möglich schaffen und nimmt dafür mit den seit vielen Jahren fest im Programm installierten Animationsfilmen wieder viele kreative Medien ins Programm auf. Olivia & the Clouds beispielsweise ist ein Film aus der Dominikanischen Republik und mischt Stop Motion, Animations- und Experimentalfilm. Aber nicht nur die Animationstechniken fordern die Zusehenden heraus, auch die Stories dieser Animationsfilme sind oft unkonventionell bis schräg gestaltet und verarbeiten fast immer sehr persönliche Erlebnisse. Olivia durchläuft im Film mehrere Phasen der Reflexion ihrer Beziehungen, immer durch einen anderen Animationsstil dargestellt, beziehungsweise sich überschneidend und ineinander verwebend, kreisförmig um ein Zentrum – am besten schaut man es sich selbst an. Aber man muss überhaupt nicht nach Übersee schauen, um sich von kreativen Animationsfilmen begeistern zu lassen, in den letzten Jahren begeisterten Animationsfilme aus Polen, Slowenien oder anderen osteuropäischen Ländern das Publikum und bieten wirklich ein Erlebnis, dass sich außerhalb des DOK nur schwer finden lässt.

In diesem Jahr ist zum Beispiel der ungarische Animationsfilm Pelikan Blue dabei, der nicht nur aus Osteuropa kommt, sondern thematisch auch noch die Zeit unmittelbar nach dem Fall des eisernen Vorhangs behandelt. Drei Freunde wollen die Welt sehen und fälschen dafür Zugtickets, woraus sich bald ein lukratives Geschäft ergibt. Dieser Film steht im Grunde sinnbildlich für DOK Leipzig, denn er ist kein reiner Animationsfilm, sondern bringt zusätzlich Doku-Elemente ins Genre ein und verbindet so in einem das, was für Festivaldirektor Christoph Terhechte DOK Leipzig ausmacht. Die Vernetzung der beiden Schwerpunkte des Internationalen Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm soll auch in den nächsten Jahren noch vorangebracht werden, der Anteil der Filme aus beiden Richtungen soll dabei beibehalten werden. Apropos Anteil, dieses Jahr wurden insgesamt über 3350 Arbeiten eingereicht, ein deutlicher Anstieg zum letzten Jahr, was auf jeden Fall die Bedeutung des Festivals für die Branche unterstreicht. Ausgewählt wurden insgesamt 209 Filme und XR (Extended Reality) -Arbeiten, letztere sind zusammengefasst unter DOK Neuland und verschieben die Grenzen des Films nochmal weiter indem sie unter anderem mit Virtual Reality an noch größerer Immersion und den Filmen der Zukunft arbeiten. Das Ganze wird wieder kostenlos zu sehen sein, diesmal aber mit neuem Konzept an gleich vier Standorten: Wie gewohnt im Museum der bildenden Künste, außerdem in der Cinémathequè, in der Galerie KUB und am Hauptbahnhof.

Zu den beiden genannten animierten Langfilmen kommt auch wieder eine ganze Reihe an animierten Kurzfilmen aus aller Welt, die den langen Pendants in puncto Kreativität und Experimentierfreude natürlich in keiner Weise nachstehen. Wie wichtig der Animationsfilm für DOK Leipzig mittlerweile geworden ist, zeigen die beiden zusätzlichen Programmpunkte für alle, die hinter die Kulissen der Linien und Pixel auf der Leinwand schauen wollen. Zum einen die Animation Perspecitves, die Gelegenheit zum Austausch mit den beiden Animationskünstlerinnen Gudrun Krebitz und Moïa Jobin-Paré geben. Die beiden gewähren einen tiefen Einblick in ihre Filme über das triste Großstadtleben und in ihre unterschiedlichen Arbeitsweisen. Noch tiefer in die Welt der Animationsfilme kann man dagegen bei der Animation Night schauen, dort sogar bis an die ursprünglichsten Anfänge der animierten Bilder, die mit einem Phenakistiskop erzeugt wurden. Das kennt der eine oder die andere vielleicht aus der Kindheit oder von der letzten Partynacht, auf einer sich drehenden Scheibe werden einzelne Bilder in Bewegung gebracht und erzeugen die Illusion von Bewegung. Mit den ersten Computeranimationen und anderen historischen Apparaten zeigt die Animation Night, was fernab von Filmen in einem künstlerischen Rahmen noch mit Animation möglich ist.

Trotzdem ist die Animation nur ein Teil von DOK Leipzig, auch die langen und kurzen Dokumentationen kommen dieses Jahr natürlich wieder aus aller Welt und warten mit ihren ganz eigenen Highlights auf. Die Hommage an drei besondere Filmschaffende steht dabei im Zentrum und ehrt Dominique Cabrera, Isabel Herguera und Thomas Heise. Den Film Bonjour Monsieur Comolli von Dominique Cabrera beschreibt Christoph Terhechte als nicht weniger als ein »umfassendes Porträt in dem es um Krankheit, Tod, guten Wein und all das geht, was das Kino zur menschlichen Existenz beizutragen hat.« Darüber hinaus wird auch dieses Jahr wirklich alles abgedeckt, was in der heutigen Welt Relevanz hat: Genderrollen und Religion in Sabbath Queen, eine Dokumentation über einen Rabbi, der gleichzeitig auch als Drag Queen konservative Strukturen im Judentum aufbrachen will, der Umgang der Justiz mit geflüchteten Menschen in Moria in Moria Six, Sexualität und Zwischenmenschlichkeit in Truth or Dare und ganz viele Identitäten, die die Filmschaffenden über sich oder ihr Umfeld offenlegen, ob in der ersten türkischen Frauenfußballmannschaft in Berlin in Spielerinnen oder beim Rap in Sister Queens. Nicht zuletzt geht es auch um die Fragen nach Wir und die Anderen, Ost gegen West, Reich gegen Armin der Retrospektive »Dritte Wege in der zweigeteilten Welt – Utopien und Unterwanderungen«, in der DOK Leipzig auch die eigene Rolle zu Zeiten der DDR aufbereitet. Wer dabei jetzt was wie genau gegeneinander gewichtet, bleibt allen selbst überlassen, aber in diesem umfangreichen Programm voller schwerwiegender und kreativer Filme werden wohl alle Filmbegeisterten wieder fündig werden.

ALEXANDER BÖHLE

Das gesamte Programm von DOK Leipzig erscheint am 10.10.2024, das Festival findet dieses Jahr vom 28.10. – 03.11. statt

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