Allgemein DOK Leipzig 2020 Filmrezensionen

Schafe, Babyschafe


»Considering the Ends « (Elsa Maury, B/F 2020)

Aufnahmen von Tierrechtsaktivisten der Gruppe »L214«, die die Schlachtabläufe von Nutztieren zeigen, schockierten im Jahr 2016 die französischsprachige Öffentlichkeit. Das Material entstand damals in einem als Bio-Betrieb zertifizierten Schlachthof und zeigt sadistische Misshandlungen und falsch angewendete Schlachtmethoden, die den Tieren vermeidbares Leid zufügen. Für die Filmemacherin Elsa Maury war dies der Ausgangspunkt für eine Recherche, die wiederum Teil ihrer Abschlussarbeit an der Universität in Lüttich ist, und in der sie traditionelle, nicht-industrielle Formen von Tierhaltung und -verarbeitung auch unter Berücksichtigung einer ethnografischen Perspektive untersuchte.

Für »Considering the Ends«, der ebenso zu dieser Abschlussarbeit gehört, begleitete Maury die im südlichen Teil des französischen Zentralmassivs lebende und arbeitende Schäferin Natalie Savalois sowie ihre Herde, deren Verhältnis von großer räumlicher Nähe geprägt ist. Zumindest in den Sommermonaten werden die Schafe und Ziegen im Freien gehalten, Natalie Savalois steht rund um die Uhr für Geburten und Notfälle bereit. Die körperlich schwere Arbeit – die Pflege der Tiere, ihrer Hufe und Hörner – wird von ihr ohne maschinelle Hilfe und ohne Zimperlichkeiten verrichtet. Ihre emotionale Verbundenheit zur Herde ist ambivalent: mal sentimental, wenn sie an bestimmte Tiere Spitznamen vergibt, während andere nur Nummern erhalten. Dann wieder ist es ein rein am Gebrauchswert des Tieres orientiertes Verhältnis. So etwa, wenn sie ein bei der Geburt verstorbenes Schaf an einem Ast aufhängt und ihm Fell und Haut abzieht, um diese dann einem anderen Neugeborenen wie einen »Pyjama« anzuziehen, um es vor der Nachtkälte zu schützen.

Auf der Bildebene setzt »Considering the Ends« dieses sachlich-unsentimentale Verhältnis zum Tierkörper in Form einer stellenweise unangenehm sensorischen Nähe fort. Den Schnitten einer Tierärztin in einen Kadaver, dem Rumwühlen in den Eingeweiden und dem Versuch Parasiten aufzuspüren, folgt die Kamera mit detailliertem Blick. Auf der Tonebene verzichtet der Film auf Kommentare und liefert kaum eine Reflexionen über Natalies Praxis. Über ihre Motivation als Schäferin zu arbeiten oder über ihre Einschätzung und Kritik industrieller Tierhaltung erfahren wir hier wenig. Allein dem Film Struktur gebende Texttafeln liefern mehr Kontext. In ihnen schildert Natalie ihre Gedankenwelt, stellt größere zeitliche Zusammenhänge her und deutet an, was es heißt im Zentrum von Widersprüchen zu stehen – also zwischen dem Anspruch auf angemessene und naturnahe Haltung von Tieren einerseits und deren Ausbeutung durch Tötung andererseits. In den Momenten, in denen es zu Schlachtungen kommt, empfindet Natalie Scham, und zögert sich von Tieren zu trennen, die sie per Hand aufgezogen hat.

Im Unterschied zu den zahllosen Dokumentationen und Dokumentarfilmen, die sich den Produktionsverhältnissen und der Zirkulation von Nahrungsmitteln aus einer globalen Perspektive sowie den entscheidenden Akteuren wie Kritikern widmen, beschränkt sich das zentrale Erzählprinzip von »Considering the Ends«auf eine zurückgenommene Annäherung an eine einzelne Idealistin.

SEBASTIAN GEBELER

31.10.2020 17:00 CineStar 4

01.11.2020 20:00 Passage Kinos Wintergarten

31.10.2020 17:00 Live Stream

abrufbar auf CultureBase.org

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