Archiv 2018

Im Hufeisen gefangen

»Exit« dokumentiert die Hilflosigkeit der Extremismusformel

Hufeisen sollen Glück bringen. In einem Fall aber verstellen sie den Blick: bei der so genannten Extremismustheorie. Diese besagt, dass die Gesellschaft aus einer unproblematischen Mitte besteht, an deren politischen Rändern rechts wie links Extremisten ihr Unwesen treiben. Wesentlich unterscheiden sich diese Extremisten nicht, weshalb sie sich wie die beiden Enden eines Hufeisens einander annähern. Links- und Rechtsextremismus sind demzufolge die gleiche Chose, mit nur vorgegebenen anderen Vorzeichen. Den »Ausländerextremismus« hat man dann auch noch irgendwie ins Bild gestopft, fertig ist die Hufeisen-Topografie des Extremismus. In der Wissenschaft wird diese Annahme weitestgehend abgelehnt, weil sie inhaltlich leer ist, begründungslogische Lücken aufweist und nicht einmal erklären kann, was genau diese demokratische Mitte genau ausmacht. Plausibel genug aber erscheint das Bild für andere, so dass sich der Verfassungsschutz und auch viele Medien darauf berufen – und das Bild immer wieder bedienen. Die Doku »Exit« folgt leider auch genau dieser Spur.

Darin interviewt die norwegische Filmemacherin Karen Winther Menschen, die aus verschiedenen als »extrem« gelabelten Szenen in Europa und den USA ausgestiegen sind. Sie selbst war in ihrer Jugend für zwei Jahre in der Neonaziszene aktiv, weshalb sie Betrachtungen über ihren eigenen Ausstieg einflechtet. Leider sind diese biografischen Zugänge wenig aussagekräftig. Am interessantesten sind noch die Ausführungen des bekannten Neonaziaussteigers Ingo Hasselbach – allerdings sind die eben auch schon bekannt. Hasselbach war in Wende- und den ersten Nachwendejahren einer der einflussreichsten Neonaziführer Ostdeutschlands. Nach seinem Bruch mit der Szene war er Mitbegründer der Aussteigerorganisation Exit.

Das Manko inhaltlicher Tiefe liegt zum Großteil auch an Winthers eigener Biografie und/oder ihrem Umgang damit. Sie will für sich selbst wissen, warum sie Nazi war, aber es bleibt oberflächlich. Sie sei bei einer antifaschichtischen Demo gewesen und dort erlebte sie Polizeigewalt. Das habe sie erschüttert, sie fühlte sich ungeliebt und dann war sie eben angezogen von anderen, die die Gesellschaft nicht liebte. Also wurde sie Nazi, trotz der »schlechten Musik«. Ideologie hätte keine – zumindest anfangs – Rolle gespielt. Auch bei den Interviewteilnehmern werden Themen wie Arbeitslosigkeit, Vergewaltigung etc. als lose Aufzählung von Gründen ihrer Szenemitgliedscahft aufgeführt. Und die Gewalt habe dann eben auch gleich noch mit Spaß gemacht. Das bleibt halt relativ beliebig, sie Winther bohrt nicht nach.

Das Hauptaugenmerk der Doku liegt auf Neonazis, aber um über Extremismus an sich zu sprechen, hat sie auch einen ehemaligen Aktivisten einer militanten Antifa-Gruppe und einen islamistischen Terroristen interviewt. Das erklärt im Gesamtzusammenhang nichts, wie im Speziellen der Film wenig über Neonazis erzählt. Es bleibt eine vage Erzählung von miesem sozialen Umfeld sowie der Faszination von Hass und Gewalt, die zu keiner Zeit analytische Tiefe gewinnt. Gut gemeint ist dann auch der Schlusssatz: »Jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient.«

TOBIAS PRÜWER

»Exit« 

Internationales Programm | Norwegen, Deutschland, Schweden | 2018 | Dokumentarfilm | 80 Minuten | dänisch, deutsch, englisch, französisch, norwegisch | englisch Untertitel | Deutsche Premiere

Hauptbahnhof Osthalle | 30.10.2018 / 19:30

Cinémathèque Leipzig | 31.10.2018 / 17:30 / 8,50 EUR / #392

CineStar 4 | 02.11.2018 / 13:15 / 6,00 EUR / #512

Originaltitel: Exit

Land: Norwegen, Deutschland, Schweden

Jahr: 2018

Sprache: dänisch, deutsch, englisch, französisch, norwegisch

Untertitel: englisch

Laufzeit: 80 min.

Format: DCP

Farbe: Colour

Regie: Karen Winther

Produktion: Eirin Gjørv

Kamera: Peter Ask

Schnitt: Robert Stengård

Musik: Michel Wenzer

Ton: Yvonne Stenberg, Gisle Tveito

Buch: Karen Winther

https://filmfinder.dok-leipzig.de/de/film/?ID=20532&title=Exit

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